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Kein Kinderspiel

Die Schafblattern oder Varizellen, wie die Windpocken auch heißen, gelten als Kinderkrankheit und gehen als solche meist gut aus. In späteren Jahren aber sowie bei Immunschwäche, nach Organtransplantationen, für Schwangere und Neugeborene kann die Erstbegegnung tödlich sein.

Das Varizellen-Zoster-Virus aus der Gruppe der Herpesviren vermehrt sich, erst einmal in den Körper gelangt, zunächst im Rachenraum. Die ersten Symptome gleichen einer Verkühlung mit Halsschmerzen, Schwellungen und Schluckbeschwerden. Schon jetzt ist der Kranke ein Infektionsherd. Sobald die Varizellen-Zoster-Viren vom Rachen aus über den Blutstrom in den Organismus ausschwärmen, treten schlagartig Fieber und der charakteristische Ausschlag am gesamten Körper auf. Weil er in Schüben ausbricht und mehrere Stadien gleichzeitig bestehen, gleicht das Hautbild einem Sternenhimmel. Die Bläschen sind nicht nur wassergefüllt, sondern können auch Blut enthalten. Mit den berüchtigten echten Pocken haben die Windpocken nichts zu tun – die Hautveränderungen sehen nur ähnlich aus. Windpocken haben eine lange Inkubationszeit – von der Ansteckung bis zu den ersten Krankheitszeichen können 8 bis 30 Tage vergehen.

Wie hochgradig infektiös Windpocken sind, zeigt die sogenannte Basisreplikationsrate von 17. Demnach kann ein einziger Patient durchschnittlich 17 nicht geschützte Personen infizieren, und das nicht nur per Hautkontakt, sondern auch über Meter hinweg durch die Luft, also „mit dem Wind“, erklärt Prof. DDr. Martin Haditsch, Facharzt für Infektiologie und Tropenmedizin in Leonding. Erst wenn das letzte Bläschen getrocknet und die Kruste abgefallen ist, ist die Infektionsgefahr vorbei.

Kratzen erschwert die rasche und narbenfreie Abheilung. Salben zur Juckreizstillung sind ungünstig – sie fördern das Schwitzen und bieten Keimen gute Bedingungen. Besser sind Tinkturen wie zum Beispiel eine Zink-Schüttelmixtur, um das Austrocknen der Bläschen zu unterstützen. Eine ursächliche Behandlung von Windpocken ist nicht möglich. Virostatika, also virushemmende Substanzen, oder Immunglobuline werden nur gegeben, wenn wegen einer Immunschwäche schwerste Verläufe der Schafblattern zu erwarten sind, etwa auch bei Patienten nach Organtransplantationen. Schon in verhältnismäßig jungen Jahren können Immundefekte etwa durch HIV oder AIDS eintreten, was einen dramatischen Verlauf der Windpocken befürchten lässt. Das gilt auch für bestimmte Medikamente, die die Immunabwehr herabsetzen.

Mangels Impfschutz und der sehr hohen Infektiosität ist der Erstkontakt mit dem Virus in der Vergangenheit zwangsläufig bereits im frühen Lebensalter passiert, was Windpocken zur Kinderkrankheit gemacht hat. Mittlerweile ist in Österreich die Varizellen-Zoster-Impfung, ein Lebendimpfstoff, verfügbar. Säuglinge werden frühestens ab dem 9. Monat geimpft. Die Immunisierung sollte möglichst bis zum Ende des 2. Lebensjahres abgeschlossen sein. Mit steigender Durchimpfungsrate bei Kleinkindern verlagern sich Erstinfektionen zunehmend ins Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter.

Zwischen dem 9. und 17. Lebensjahr ist ein Erkrankungsgipfel mit höherer Komplikationsrate, beispielsweise mit bakteriellen Hirnhautinfektionen, zu beobachten. Deshalb wird in dieser Altersgruppe eine Varizellenimpfung empfohlen, falls noch keine Infektion stattgefunden hat. Wen die Infektion erst als Erwachsenen erwischt, der muss mit einem schweren Verlauf rechnen, warnt Professor Haditsch. Bei Immundefekten, hochdosierten Cortisongaben und bestimmten Krebstherapien ist die Impfung nicht geeignet, auch nicht für Schwangere. Windpocken im Kindergarten sind ein Grund, ein noch ungeimpftes Kind bis zum Abklingen der Erkrankungswelle daheim zu lassen, vor allem wenn die Mutter schwanger ist. Nicht immune Schwangere, die einen Windpockenkranken betreuen, könnten sich mit einer Passivimpfung (mit abgetöteten Erregern) abschirmen. Ein Erstkontakt mit Windpocken in der Schwangerschaft gefährdet nämlich Mutter und Kind. „Die Prüfung der Immunität beziehungsweise eine Vorsorgeimpfung gehört zur Familienplanung, und zwar vor Schwangerschaftsbeginn“, fordert der Leondinger Infektionsmediziner. 

Nestschutz

Eine rechtzeitig immunisierte Schwangere kann dem Ungeborenen über Mutterkuchen und Nabelschnur Antikörper mitgeben, quasi als Nestschutz für die ersten Lebensmonate. Eine Erstinfektion der Schwangeren rund um den Geburtstermin ist potenziell tödlich für das Kind, weil die Mutter noch keine schützenden Abwehrstoffe weitergeben kann. Das ist auch ein Grund für eine deutliche Klarstellung. DDr. Martin Haditsch: „Diese Pox- und Masern-Partys, zu denen manche Eltern ihre Babys bringen, um sie absichtlich einem Viruskontakt auszusetzen, widersprechen nach meiner tiefsten Überzeugung der ärztlichen Fürsorgepflicht. Wer diese duldet oder fördert, begeht vorsätzliche Körperverletzung.“ 

Spätfolge Gürtelrose

Wer eine Windpockenimpfung oder die Schafblattern hinter sich hat, ist – eine funktionierende Immunabwehr vorausgesetzt – lebenslang vor dieser Krankheit gefeit. Die im Körper befindlichen Viren geben sich aber nach der Genesung nicht geschlagen. Sie ziehen sich in Nervenzellanhäufungen, sogenannte Ganglien, im Rückenmarksbereich oder bei Hirnnerven zurück und werden wieder aktiv, wenn die körpereigene Abwehr geschwächt wird. Höheres Alter, Stress und Erkrankungen könnten Weckrufe für die Varizellen-Zoster-Viren sein. Dann taucht entlang der betroffenen Nervenbahnen die gefürchtete Gürtelrose auf, der Herpes Zoster, mit oft heftigen Nervenschmerzen. Der typische tiefrote Bläschenausschlag breitet sich meist nur einseitig in bestimmten Abschnitten aus, selten kann er auch großflächig sein. Nur der direkte Kontakt ist ansteckend, allerdings verursacht dies bei einem nicht immunen Menschen keine Gürtelrose, sondern Windpocken. Niemand bekommt eine Gürtelrose, der nicht vorher eine Windpockeninfektion überstanden hat. Auch gegen die Gürtelrose gibt es eine Impfung, welche die Bildung neuer Antikörper kräftig anregt. Laut DDr. Haditsch soll bis Jahresende ein noch wirksamerer, noch verträglicherer Impfstoff gegen Gürtelrose auf den Markt kommen. Damit könnte die Spätfolge der Windpocken endlich ihren Schrecken verlieren.

 

Klaus Stecher

September 2018


Bilder: shutterstock; privat


Kommentar

 Kein_Kinderspiel_Haditsch_150x150.png„Jeder Lebendimpfstoff birgt auch ein gewisses Restrisiko. Das ist aber deutlich geringer und grundsätzlich harmlos im Vergleich zur Krankheit, die ohne Impfung droht.“ 

Prof. DDr. Martin Haditsch

Facharzt für Infektiologie und Tropenmedizin, Leonding


Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020