DRUCKEN
Ärztin untersucht kleines Mädchen im Hals

Stimme und Stimmung

Die Stimme ist weit mehr als nur akustisches Mittel zur Verständigung, sie ist auch Ausdruck der Befindlichkeit. Stimmstörungen sind ein Zeichen, dass im Zusammenspiel von Atmung, Lautbildung, Resonanzraum und Steuerung etwas nicht stimmt. 

Ohne Luft keine Stimme – das Wechselspiel der Atemmuskulatur ist der „Blasebalg“ für den Luftstrom. Die Hauptarbeit erledigt das Zwerchfell, eine drei bis fünf Millimeter dicke, kuppelförmige, zwischen Brust- und Bauchhöhle gelegene Muskel-Sehnen-Platte. Beim Zusammenziehen ermöglicht sie die Ausdehnung der Lunge und dadurch die Einatmung. Je nach Atemtechnik unterstützen auch verschiedene Muskeln an Brust, Bauch und Rücken den Vorgang. Beim anschließenden Erschlaffen der Atemmuskulatur verengt sich der Brustkorb wieder, während die Luft mit einer Geschwindigkeit von zirka drei bis fünf Meter pro Sekunde aus der Lunge gepresst wird. Nun kommt der Kehlkopf ins Spiel – ein Hochleistungsapparat.  

Der Kehlkopf (medizinisch Larynx) liegt am oberen Ende der Luftröhre im vorderen Halsbereich. Er schützt vor dem Eindringen von Fremdkörpern in die Luftröhre und ist der Stimmerzeuger. Sein Schildknorpel tritt besonders bei Männern oft deutlich als „Adamsapfel“ hervor und ist mit dem elastisch-knorpeligen Kehldeckel (Epiglottis) verbunden, der beim Schlucken den Kehlkopfeingang abschließt. Unterhalb des Schildknorpels setzt der Ringknorpel an und daran die Luftröhre. Der Ringknorpel ist mit den so genannten Stellknorpeln gelenkig verbunden. Der gesamte Kehlkopf ist nach oben hin am Zungenbein federnd aufgehängt, nach unten ist er über Muskeln und Bänder mit dem Brustbein beweglich verbunden.  

Innerhalb der Kehlkopföffnung setzen die Taschenfalten an, deren Ränder zur Mitte hin jeweils von einer Stimmlippe gesäumt sind. Das Stimmlippenpaar ist so zwischen der Hinterwand des Schildknorpels und den Stellknorpeln gespannt, dass beim normalen Ein-und Ausatmen eine dreieckige Öffnung entsteht, die Stimmritze (Glottis). Zur Erzeugung eines Tons schließen die Stimmlippen zu Beginn der Ausatmung die Stimmritze. Erhöhter Luftdruck entsteht, der wiederum das Öffnen der Stimmritze erzwingt und die Stimmlippen in Schwingungen versetzt. Die so entstehenden Schallwellen erzeugen den Klang. 

„Die umgangssprachliche Bezeichnung „Stimmband“ ist nicht korrekt, weil die Stimmbänder eigentlich nur eine dünne Gewebsschicht sind, die in den Stimmlippen eingelagert ist“, erklärt HNOFacharzt Dr. Georg Fleischhacker aus Thalheim bei Wels. Die Stimmlippen bestehen aus Stimmband, Vokalismuskel, Bindegewebe, Nerven, Gefäßen und verschieblicher, umhüllender Schleimhaut. Beim Mann sind die Stimmlippen etwa 2 bis 2,4 Zentimeter, bei der Frau etwa 1,6 bis 2 Zentimeter lang. Ein wichtiger Teil der Stimmlippen ist der so genannte Reinke-Raum, ein nur 0,5 Millimeter dünner, äußerst schwingungsfähiger Hohlraum. Mehrere kleinere Muskelfasern regulieren auch mit Hilfe der Stellknorpel die Weite der Stimmritze und die Spannung der Stimmlippen und formen so Grundklang der Stimme, Lautstärke und Tonhöhe. Je höher die Spannung, umso schneller die Schwingung, umso höher der Ton. Bei einer Sopranstimme schwingen die Stimmlippen bis zu 1.000-mal pro Minute. Die durchschnittliche Alltagsstimme umfasst ein bis eineinhalb Oktaven, die trainierte Stimme schafft bis zu vier. Legendär ist die Stimme der in den 50er Jahren berühmt gewordenen peruanischen Sängerin Yma Sumac, die fünf Oktaven umspannte. 

Resonanzen 

Ihren vollen, charakteristischen Klang erhält die Stimme erst durch die Resonanzen, die im Mund-, Nasen- und Rachenraum entstehen. Zusammen werden diese Räume auch als Ansatzrohr bezeichnet, weil sie den Schall wie ein Zylinder abwandeln und verstärken. Zungen- und Mundbewegungen formen die Kehlkopfklänge schließlich zu Sprachlauten, weshalb der Mund-Nasen-Rachen-Raum auch Vokaltrakt heißt. Hier entstehen auch erst die so genannten Obertöne oder Formanten. Sie legen sich wie Farbnuancen um den Grundton und machen so die jeweilige Stimme erst individuell und so unverwechselbar, dass sich in der Kriminalistik die Stimme zur Identifizierung noch besser eignet als ein Fingerabdruck.  

Stimmgewalt hat mit Körperfülle nichts zu tun. Professionelle Sprecher und Sänger lernen vor allem, die verfügbare Atemluft möglichst ökonomisch einzusetzen und den Resonanzraum optimal zu nutzen. Opernstars brauchen also keineswegs die Gestalt von Hünen oder Walküren. Viel wichtiger sind eine gediegene Stimmausbildung, die richtige Beurteilung der Stimmlage und die Vermeidung jeglicher Überlastung. Die Fähigkeit, den richtigen Ton zu treffen und zu halten, hat auch mit der akustischen Wahrnehmung zu tun, und die ist oft einfach Talent. Natürlich erschwert eine Hörbehinderung die Sprachentwicklung, weil dazu die Kontrollfunktion des Gehörs gebraucht wird. 

Gut gestimmt 

Kopf- und Körperhaltung beeinflussen die Stimme – sie ist umso ausdrucksvoller, je besser die Körperspannung ist, Bein- und Beckenbodenmuskulatur mit eingeschlossen. Falsche Atemtechnik verändert die Körperhaltung. Bei reiner Brustatmung gelangt viel weniger Luft in die Atemwege und hochgezogene Schultern verursachen eine ungünstige Verspannung der Halsmuskulatur, eine sehr flache Atmung und eine gepresste Stimme. Die tiefe Zwerchfellatmung bringt das größte Luftvolumen und verhindert einen Kehlkopfhochstand. 

Das Gehirn ist die Steuerzentrale für die Stimmkontrolle. Der Stimmapparat wird vor allem von der linken Gehirnhälfte aus kontrolliert, beim Singen arbeiten beide Hirnhälften zusammen. In den Tiefen des Mittelhirns sitzt im limbischen System der Mandelkern, das Zentrum der Gefühle, das auf Stresssituationen reflexartig reagiert beziehungsweise positive und negative Stimmungslagen erzeugt. Dieses Areal wird durchwandert vom Nervus vagus („der Herumwandernde“). Das ist jener Hauptnerv, der einige innere Organe und Muskeln des Kehlkopfes motorisch versorgt, darunter auch die Stimmlippen. Einer seiner Äste, der Nervus laryngeus recurrens, zieht vom Hals hinunter zum Brustraum und von dort zurück zum Kehlkopf, wo er die innere Kehlkopfmuskulatur steuert. Der Ast des Nervus laryngeus superior wiederum ist für die Sensibilität der kleinen Muskeln zwischen Schildknorpel und Ringknorpel und die Stimmlippenspannung zuständig. Eine Verletzung dieses Nervs führt nicht nur zu Schluckproblemen, sondern auch zu einer monotonen Stimmlage. 

Alarmzeichen Heiserkeit 

Der nervale Schaltkreis zwischen Gehirn und Stimmapparat ist der Grund für die enge Verknüpfung von Stimme und Stimmung. Emotionen fließen leicht in die Stimmbildung ein. „Darum wird die Stimme schnell brüchig oder versagt vollständig, wenn wir Angst haben, nervös oder traurig sind“, erklärt die Logopädin Susanne Beham aus Thalheim bei Wels. Stimmprobleme können durchaus auch Ausdruck psychosozialer Konflikte sein.  

Heiserkeit ist ein Zeichen dafür, dass beim Sprechen oder Singen die Stimmritze nicht vollständig verschlossen wird. Wenn es sich dabei um eine rein funktionelle Störung etwa als Folge mangelnder Muskelspannung handelt und sonst keine organischen Veränderungen festgestellt werden, kann logopädisches Training der ehlkopfmuskulatur den vollständigen Stimmlippenschluss wiederherstellen. Stimmlippenknötchen, auch Phonationsverdickungen genannt, entstehen durch falschen Stimmeinsatz. So erotisch die daraus resultierende rauchig behauchte Stimme klingen mag – eine logopädische Therapie muss die gutartigen Knötchen zum Verschwinden bringen und einem Stimmverlust zuvorkommen. Stimmlippenpolypen hingegen sind Schleimhautwucherungen und Zysten sind knötchenartige Verdickungen mit Wassereinlagerungen. Sowohl Polypen als auch Zysten muss der Chirurg behandeln, zumal manche Polypen auch entarten könnten. Kehlkopftumore machen etwa ein Prozent aller bösartigen Erkrankungen aus und werden grundsätzlich operativ behandelt.  

Bei Heiserkeit aufgrund einer einseitigen Stimmlippenlähmung, verursacht durch eine Lähmung des Nervus laryngeus recurrens, sollte zunächst logopädisch versucht werden, den Nerv beziehungsweise den Glottisschluss zu stimulieren. Sollte das nicht gelingen, wird der Stimmlippenschluss chirurgisch verbessert und so ein fast normales Stimmergebnis erzielt. Weil der Nerv auf seinem Weg zum Kehlkopf den Brustraum durchzieht, kann Heiserkeit oder eine Stimmlippenlähmung aber auch das Erstsymptom eines bösartigen Lungentumors sein.  

Eine besondere Form der Stimmlippenmotilitätsstörung wird – wenngleich sehr selten – im Zuge der Intubation während einer Narkose verursacht. Dabei verklemmen sich die Stellknorpel in ihren Gelenken am Ringknorpel, was zum Stimmlippenstillstand führt. Diese Gelenksperre kann, rechtzeitig erkannt, rasch behoben werden. Entzündungsvorgänge können Ödeme im Reinke-Raum der Stimmlippen bilden und deren Schwingungsfähigkeit vermindern, wodurch die Stimme tiefer wird. Das Reinke-Ödem, das chirurgisch beseitigt werden muss, betrifft fast ausschließlich Raucher und tritt häufig und wiederholt auf. Jede Befindlichkeitsstörung, jede Erkrankung schwächt als Nebenwirkung auch die Stimme. Sogar eine rapide Gewichtsabnahme lässt sie dünn und müde klingen. Ob Friseurin oder Schauspieler, Rechtsanwältin oder Lehrer, Verkäufer oder Kindergärtnerin – 70 Prozent aller Berufstätigen arbeiten mit hohem Stimmaufwand. Doch selbst eine in langjähriger Überlastung veränderte Stimme hat eine Chance, sich durch entsprechende Behandlung zu regenerieren. 

„Voicelifting“ 

Beim Säugling liegt der Kehlkopf noch extrem hoch, weshalb das Kind gleichzeitig atmen und schlucken kann. Erst später wandert der Kehlkopf weiter nach unten. In der Pubertät wächst er vor allem in die Länge, die Stimmlippen werden dicker. Dadurch sinkt die männliche Stimme um zirka eine Oktave ab, die weibliche etwa um eine Terz. Mit Ende des Stimmbruchs ist die Stimmentwicklung aber längst nicht abgeschlossen. Im Alter wird die Stimme häufig spröde, entwickeln Männer oft eine höhere, Frauen eine tiefere Stimme. Nicht selten kommt es aufgrund schlechterer Atmung und einer gestörten Kehlkopfsteuerung zu einem Alterstremolo. Die Stimme ist oft ein viel deutlicherer Hinweis auf das Alter als das Aussehen. Diese Tatsache hat in den USA bereits den Trend des „Voiceliftings“ heraufbeschworen – neben dem Facelifting gilt nun auch die Stimmlippenstraffung als Jungbrunnen. Dabei wäre regelmäßiges Stimmtraining durchaus geeignet, bis ins hohe Alter eine junge, kraftvolle Stimme zu bewahren.  

Aus den USA wurde ein Versuch mit Kindern im ersten Lebensjahr berichtet, denen asiatische Nannys im Rahmen des Projekts täglich eine Gute-Nacht-Geschichte erzählten. Nach dem ersten Geburtstag, also noch vor der Sprachentwicklung, wurde der Kontakt beendet. Als Zwölfjährige wurden diese Kinder ermutigt, eine asiatische Sprache zu erlernen. Der Spracherwerb gelang ihnen viel müheloser und akzentfreier als Kindern in einer Vergleichsgruppe, die keine asiatische Vorlese-Nanny gehabt hatten.  

Dass die eigene Stimme fremd, ja sogar befremdlich klingt, liegt daran, dass sie uns normaler-weise über einen anderen Schallträger, nämlich den knöchernen Schädel, zu Ohren kommt. Überhöhte Sprechstimmlagen, knarrige, raue, behauchte Stimmen werden vor allem in Vorträgen als unangenehm empfunden. Klare, melodiöse Stimmen wirken kompetent. Wer schreit, schadet nicht nur seiner Stimme, sondern hat bekanntlich sowieso unrecht. In der Persönlichkeit sitzt die Stimme (personare = durchtönen, klingen lassen), und was man wirklich meint, sagt man am besten im tiefen Brustton der Überzeugung.

Stimmpflege 

Gut: Angemessene Luftbefeuchtung, Inhalationen mit Salzwasser, Gurgeln mit Salbei- oder Eibischtee, milde Lutschbonbons, ausreichend Schlaf.

Schlecht: Rauchen, hochprozentiger Alkohol, sehr kalte und sehr heiße Getränke,  Feinstaub, bestimmte Blutdrucksenker, Asthmasprays, scharfe Bonbons und Gurgelmittel, Stimmen imitieren, Flüstern. 

Verschlussproblem

Wenn infolge einer Stimmlippenlähmung kein Kehlkopfverschluss gelingt, ist auch keine Bauchpresse möglich. Das verursacht selbst bei gut trainierten Patienten unweigerlich eine Leistungsverminderung. Das Heben schwerer Gegenstände und selbst die Verrichtung des Stuhlgangs werden damit zum Problem. Die Wiederherstellung des Stimmlippenschlusses ist daher wichtig für das Allgemeinbefinden des Betroffenen.


Klaus Stecher

April 2018

 

Bilder: shutterstock, privat


Kommentare

Stimme und Stimmung Kommentarbild Dr. Georg Fleischhacker„Heiserkeit, die länger als 14 Tage dauert, hat vermutlich nichts mit einer akuten Entzündung zu tun und sollte ärztlich abgeklärt werden.“

Dr. Georg Fleischhacker

Facharzt für HNO-Erkrankungen, Thalheim bei Wels


 Stimme und Stimmung Kommentarbild Susanne Beham, MHPE„Als praktische Übung zur  täglichen Stimmpflege eignet sich das Mitsummen einer Melodie aus dem Radio. Das schließt Atemdynamik und Stimmmodulation ein und macht Spaß.“

Susanne Beham, MHPE

Logopädin, Thalheim bei Wels

 


 

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020