Epilepsie zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Österreich rechnet man mit bis zu 80.000 Betroffenen, davon 5.000 bis 6.000 Schulkinder. Eine frühe Diagnose und Behandlung sind wichtig, um die Entwicklung der Kinder nicht zu gefährden. Kinder brauchen Hilfe und Akzeptanz statt Ausgrenzung.
Epilepsie ist ein Überbegriff für ganz verschiedene Krankheitsbilder. Es gibt eine Fülle von verschiedenen Ausformungen und Untergruppen, die bei Kindern und Jugendlichen auftreten können. So etwa die Fälle, die man in Fernsehfilmen sieht, in denen jemand am Boden liegt und am ganzen Körper wie wild zuckt; daneben gibt es die viel häufigeren Formen, die kaum ein Mensch bemerkt und bei denen man schon sehr genau nachforschen muss, um sie als Epilepsie zu erkennen. Solche Anfälle können sehr unterschiedlich aussehen, manchmal äußern sie sich nur in Form von Bewusstseinspausen oder als leichtes Kribbeln oder Muskelzucken.
Man unterscheidet idiopathische von symptomatischen Formen. „Idiopathisch heißt in diesem Zusammenhang, dass das Gehirn gesund ist und man nicht weiß, wodurch die Anfälle ausgelöst werden. Symptomatisch bedeutet, dass bestimmte Vorerkrankungen wie ein Schlaganfall oder eine Entwicklungsstörung vorliegen, welche die Epilepsie erklären können“, erklärt Dr. Astrid Eisenkölbl, Oberärztin am Kepler Universitätsklinikum Med Campus IV., Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde.
Zwei häufige und zugleich gutartige, das heißt gut therapiebare Formen mit guter Prognose, sind die kindliche Absence-Epilepsie („Absencen“) und die Rolando-Epilepsie.
Kindliche Absence Epilepsie
Während eines Anfalls ist das Kind nicht ansprechbar, es hört einen nicht, wenn man zu ihm spricht und reagiert erst, wenn es geistig wieder „anwesend“ ist. Das fällt vor allen in der Schule auf, wenn das Kind „geistig wegdriftet“. Es hält etwa mitten im Schreiben inne und scheint mit offenen Augen zu schlafen. Lehrer halten diese Absenzen häufig für Tagträumerei (was sie definitiv nicht sind) und versuchen sie mit erzieherischen Maßnahmen zu verhindern (was nicht möglich ist). Solche „stillen“ Anfälle dauern meist nur einige Sekunden lang, können jedoch bis zu 100 Mal am Tag auftreten. Absencen lassen sich medikamentös gut behandeln, die Prognose ist meist günstig, dann verschwinden die Anfälle wieder.
Rolando-Epilepsie
Diese meist ohne erkennbare Vorschädigungen auftretende Epilepsieform beginnt mit Kribbeln und Taubheitsgefühl im Mund und auf der Wange einer Gesichtshälfte. Dann können Zuckungen und Verkrampfungen im Gesicht, Sprach- und Schluckstörungen und Speichelfluss auftreten. Sprachunfähigkeit (Hemmung) bei vollem Bewusstsein ist ein deutliches Zeichen eines solchen Anfalls. Selten zucken auch Arm- und Beinmuskeln. Die Anfälle sind nicht besonders heftig, treten eher selten auf, sind gut behandelbar und verschwinden meist wieder in der Pubertät.
Anfälle erkennen
Ein großer, sogenannter generalisierter Anfall ist als solcher nicht zu übersehen: Der gesamte Körper zuckt heftig, es kann zu Stuhl- und Harnverlust und einem Verdrehen der Augen kommen, die Person ist in diesem Moment häufig nicht ansprechbar.
Bei einem sogenannten fokalen Anfall dagegen ist lediglich ein bestimmter Körperteil betroffen, so zuckt zum Beispiel nur die rechte Hand, die Person ist ansprechbar.
Bloße Absencen ohne Zuckungen sind dagegen weniger offensichtlich und werden oft jahrelang nicht als epileptische Anfälle erkannt, da Eltern und Lehrer diese nicht als solche deuten (können). Treten Absencen nur selten auf, ist es möglich, dass dies jahrelang unentdeckt bleibt.
Ein Hinweis auf eine Epilepsie kann bei Kleinkindern ein Entwicklungsstopp sein, das heißt, die Kinder entwickeln sich nicht weiter oder entwickeln sich sogar zurück; sie können immer schlechter lernen und können ihre bisherigen Leistungen trotz aller Bemühungen nicht mehr erbringen. Für Eltern sollte ein unerklärlicher Leistungsabfall ein Alarmzeichen sein, dass möglicherweise eine Epilepsie ihres „tagträumenden“ Kindes Ursache der Probleme sein könnte.
Diagnose
Wichtig für die Diagnostik in jungen Jahren ist eine pädiatrische, neurologische Untersuchung. Diagnosen werden in medizinischen Zentren mit einer Abteilung für Kinderneurologie erstellt. Neuropädiater nennt man den zuständigen Facharzt.
Mittels Elektroenzephalografie (EEG) lassen sich die die elektrischen Impulse aus dem Gehirn messen. Bei einer generalisierten Epilepsie ist das gesamte Gehirn betroffen, bei einer fokalen Epilepsie nur ein Teil davon. Im EEG kann man ablesen, welche Teile betroffen sind. Zur Diagnose erfolgt eine 20-minütiges EEG und im Zweifel eine 48-stündige Aufzeichnung.
Therapie und Verlauf
Gutartige Formen können im Laufe der Jahre unter der entsprechenden Therapie wieder aufhören, sie wachsen sich dann quasi aus. Idiopathische Fälle haben eine meist günstige Prognose, da oft nur eine Reifestörung vorliegt, die sich im Laufe der kindlichen Entwicklung wieder normalisieren kann.
„Epilepsie ist keine Erbkrankheit und es ist keine geistige Behinderung, kann aber unbehandelt zu geistigen Beeinträchtigungen führen. Erfreulicherweise kann heute vielen Patienten effizient geholfen werden“, sagt Dr. Eisenkölbl. Mit der richtigen Diagnostik und Therapie kann bei bis zu zwei Drittel der Patienten eine Anfallsfreiheit erreicht werden.
Epilepsie sollte bei Kindern und Jugendlichen in jedem Fall therapiert werden, da die Entwicklung des Gehirns erst mit rund 18 Jahren abgeschlossen ist und diese Entwicklung sonst beeinträchtigt ist. Das gilt auch für die leichteren Fälle (wie den Absencen), da die Anfälle unbehandelt eher zunehmen, als dass sie spontan aufhören. Unbehandelt droht die Gefahr, dass sich das Kind nicht weiterentwickelt, die Leistungen sinken und der schulische Erfolg ausbleibt.
Die Therapie besteht in der Verabreichung von Medikamenten, sogenannten Antiepileptika. Ziel ist die Unterdrückung der Anfälle. Bei idiopathischen Fällen gelingt dies meist sehr gut, in anderen Fällen müssen oft verschiedene Medikamente verwendet werden, bis dies gelingt.
Kinder nicht ausschließen
Betroffene Kinder sollten ein möglichst normales Leben führen können – und dies auch in der Schule. Für Betroffene ist es besonders wichtig, akzeptiert und nicht ausgeschlossen zu werden. Die Schulzeit und ihre Erfahrungen haben großen Einfluss, wie gut es einem Kind gelingt, mit der Krankheit zurechtzukommen. Leider erfahren betroffene Kinder auch heute noch Stigmatisierung und sie leiden darunter oft mehr als an der Erkrankung selbst. „Man sollte wissen, dass es sich um ganz normale Kinder handelt, die eben an epileptischen Anfällen leiden. Sie sind weder behindert noch stellen sie eine Gefahr dar. Viele Schulen schließen betroffene Kinder leider von Gemeinschaftsaktivitäten wie Schulausflügen etc. aus. Genau das Gegenteil wäre wünschenswert und für die Psyche und Entwicklung der Kinder sehr wichtig“, sagt Dr. Eisenkölbl. Viel Aufklärungsarbeit ist nach wie vor nötig, um Wissensdefizite, Vorurteile und Irrtümer auszuräumen.
Dr. Thomas Hartl
September 2018
Bild: shutterstock