Im Kampf gegen Krebserkrankungen gibt die Immuntherapie neue Hoffnung. Bei dieser wird nicht die Tumorzelle behandelt, sondern das Immunsystem des Körpers. Es wird im Idealfall so gestärkt, dass es die Krebszellen erkennen und bekämpfen kann.
Es gab eigentlich keine Hoffnung mehr. Vor sieben Jahren war die damals fünfjährige Amerikanerin Emily Whitehead an akuter lymphatischer Leukämie (ALL) erkrankt. Eine Chemotherapie gegen den aggressiven Blutkrebs hatte nichts bewirkt. Doch dann wurde an dem Mädchen ein neues Verfahren angewandt. Nicht die Krebszellen wurden direkt bekämpft, sondern Emily bekam per Infusion körpereigene Immunzellen verabreicht, die ihr zuvor entnommen und gentechnisch mit Hilfe von abgewandelten HI-Viren verändert worden waren. Diese konnten nun Krebszellen besser erkennen und angreifen. Die zielgerichtete Immuntherapie löste bei dem Mädchen zwar heftige Nebenwirkungen aus, es bekam hohes Fieber und fiel zwischendurch ins Koma. Doch heute gilt Emily als geheilt. „Der Erfolg war völlig durchschlagend“, sagt Stephan Grupp, Leiter des Krebs-Immuntherapie-Programms an der Kinderklinik von Philadelphia. Nun hat die US-Arzneimittelbehörde FDA das Verfahren der Pharmafirma Novartis zugelassen. „Mit der Möglichkeit, körpereigene Zellen eines Patienten so umzuprogrammieren, dass sie einen tödlichen Tumor angreifen, stoßen wir in neue Dimensionen der medizinischen Behandlung vor“, meint Scott Gottlieb von der FDA. Im kommenden Jahr könnte das Verfahren auch in Europa zugelassen werden. Allerdings: Die Behandlung schlägt zwar bei bestimmten Arten von Leukämie gut an, weniger gut allerdings bei Tumoren in der Brust, den Eierstöcken, den Lungen oder der Bauchspeicheldrüse. Und die Behandlungskosten sind mit 400.000 Euro pro Jahr derzeit noch sehr hoch. Es gibt noch andere Methoden, bei denen das eigene Immunsystem im Kampf gegen Krebs eingesetzt werden kann.
Tarnkappe
Man macht sich dabei – sehr vereinfacht formuliert – eine Wirkung zunutze, die der Körper vom Schnupfen kennt. Erwischt ihn eine Erkältung, so setzt das Immunsystem bei einem normalerweise gesunden Menschen einen Mechanismus in Gang, um die Erreger kleinzukriegen. Bei einem gesunden Menschen bekämpft das Immunsystem auch Krebszellen. Ist es aber schon geschwächt, schafft es das nicht mehr, der Tumor wächst ungestört weiter. Krebszellen sind nämlich in der Lage, sich zu verstecken. Sie können sich mit einer Art „Tarnkappe“ unsichtbar machen, oder sie gaukeln dem Organismus vor, eigentlich gesunde Zellen zu sein. So tricksen sie das Immunsystem aus.
Spezielle Nachhilfe
Es reicht aber nicht, bei einer Krebserkrankung das Immunsystem allgemein zu stärken, es braucht eine spezielle Nachhilfe. Auf diese Idee kam im Jahr 1867 schon der Bonner Chirurg Wilhelm Busch. Er legte eine krebskranke Frau in das leere Bett eines Patienten, der an Wundrose litt. Kurze Zeit später schrumpfte der lebensbedrohliche Tumor im Hals der Frau. Aber es sollten noch fast eineinhalb Jahrhunderte vergehen, bis der Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Immunsystem so erforscht war, dass man daraus neue Methoden ableiten konnte. Bei der Krebs-Immuntherapie helfen Medikamente, sogenannte Immun-Checkpoint-Hemmer, die Blockade der Immunzellen aufzuheben. Nun können sie Krebszellen wieder angreifen. Erfolge wurden bei Hautkrebs, nicht kleinzelligem Lungenkrebs, Blasen und Nierenkrebs erzielt. Beim Lungenkrebs belegt eine aktuelle Studie die Überlegenheit der Immunbehandlung gegenüber einer Chemotherapie. „Die Immuntherapie gibt Hoffnung“, sagt Dr. Renate Pichler, Oberärztin an der Urologischen Onkologie der Universitätsklinik Innsbruck, die für ihre Forschungen zum Hoden- und Blasentumor von der Deutschen Gesellschaft für Urologie mit einem Forschungspreis ausgezeichnet wurde. Aber sie sagt auch: „Wir stehen noch ganz am Anfang, es laufen weltweit rund 1.000 Studien – und viele Fragen sind offen.“ Etwa warum manche Patienten kaum Nebenwirkungen haben, während andere sogar von ziemlich starken Nebenwirkungen geplagt werden. Oder warum die Therapie bei einigen Patienten überhaupt nicht wirkt. Man sucht noch nach Merkmalen in den Gewebeproben der Tumore. So soll eine Voraussage möglich gemacht werden, ob die Behandlung anschlagen wird. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Kosten dafür extrem hoch sind. Unklar ist auch noch, warum die Immuntherapie auch bei schwarzem Hautkrebs, Lungen-, Blasen- und Nierenkrebs Erfolge erzielt, aber bei anderen Krebsarten nicht.
Frage der Heilung
Weltweit suchen Forscher auch eine Antwort auf die Frage, ob mit der Immuntherapie
tatsächlich eine Heilung gelingen kann oder ob es „nur“ gelingt, den Tumor über lange Zeit in Schach zu halten. Aber Dr. Pichler ist überzeugt: „Je mehr geforscht wird, je mehr Medikamente zugelassen werden, desto mehr Heilungserfolge werden erzielt und desto mehr Menschen können davon profitieren.“
Kampf dem Krebs
In Österreich erkranken jährlich rund 39.000 Menschen an Krebs, Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Krebs ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweit-häufigste Todesursache. Auch wenn die Medizin große Hoffnungen in die Immuntherapie setzt, die herkömmlichen Methoden der Krebstherapie werden nicht aus den Augen verloren. Die wichtigsten drei können einzeln, aber auch in Kombination angewandt werden:
- Operation
Ist eine Operation möglich, dann wird Tumorgewebe gleich am Ursprung entfernt. Auch von Krebs befallene Lymphknoten, die sich in der Nähe des Tumors befinden, werden entfernt. Das Spektrum an Eingriffen ist sehr breit gefächert. Manchmal reichen minimalinvasive Eingriffe, bei denen der Chirurg mit wenigen Schnitten auskommt. Die eigentliche Operation wird im Körper durchgeführt, man spricht auch von „Schlüsselloch-Operationen“, weil Instrumente und Kamera von außen in den Körper eingeführt werden. Es gibt jedoch auch große Operationen, bei denen Teile eines Organs und das angrenzende Gewebe entfernt werden müssen. In diesen Fällen müssen die Patienten danach einige Zeit im Krankenhaus bleiben.
- Strahlentherapie
Bei der Strahlentherapie treffen ionisierende Strahlen mit energiereichen Teilchen Tumorzellen so schwer, dass sie kleiner werden oder ganz absterben. Die Strahlentherapie wird lokal angewandt. Man kann aber nicht ausschließen, dass bei dieser Behandlung auch gesundes Gewebe rund um den Tumor getroffen wird. Allerdings hat dieses die Fähigkeit sich zu regenerieren. Daher wird die Strahlentherapie in Abständen verabreicht, damit sich die gesunden Zellen in der Zwischenzeit erholen können.
- Chemotherapie
Die Chemotherapie wird zur Behandlung bösartiger Tumore angewandt. Die Betroffenen bekommen durch Tabletten, Spritzen oder Infusionen chemische Substanzen verabreicht, die das Wachstum von Krebszellen hemmen. Diese Substanzen wirken nicht nur lokal, sondern im ganzen Körper. Daher kommt die Chemotherapie oft zum Einsatz, wenn der Krebs sich in einem fortgeschrittenen Stadium befi ndet und sich bereits Metastasen gebildet haben. Allerdings werden bei dieser Behandlung auch gesunde Zellen angegriffen, weshalb es zu Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Durchfall, Haarausfall oder rasche Ermüdung kommen kann.
Birgit Baumann
November 2018
Bilder: shutterstock; privat
Kommentar
OÄ Dr. Renate Pichler
Urologische Onkologie der Universitätsklinik Innsbruck