Nach einem überstandenen Herzinfarkt oder infolge eines anderen Problems mit dem Herzen entstehen oft massive Ängste, Depressionen oder andere psychische Störungen. Damit diese nicht dauerhaft werden, sollte man aktiv werden und nicht nur den Körper behandeln lassen.
Angststörungen und Depressionen beeinflussen die Entwicklung und den Verlauf von kardiologischen Erkrankungen negativ; sie erhöhen das Risiko eines Herzinfarkts und generell einer koronaren Herzkrankheit (KHK; umgangssprachlich wird sie Arterienverkalkung genannt, welche zu verschiedenen Folgeerkrankungen des Herzens führen kann).
Der Zusammenhang zwischen Psyche und Herz ist jedoch auch in der Gegenrichtung gegeben: Ein überstandener Herzinfarkt oder die Diagnose einer KHK oder die Durchführung einer Bypass-Operation und sogar das bloße Einsetzen eines Stents kann die Psyche enorm belasten. Dies kann zu Angststörungen und Depressionen führen, was wiederum schlecht für die Herzgesundheit ist. Probleme des Körpers und der Psyche schaukeln sich also auf, ein „Teufelskreis“ kann entstehen, wenn man nicht auch die Psyche behandelt.
„Mindestens jeder Vierte hat nach einer KHK mit längerfristigen psychischen Problemen zu kämpfen. 25 bis 30 Prozent bekommen psychische Folgeerkrankungen, die sie vorher noch nicht hatten“, sagt Dr. Hans Morschitzky, Psychotherapeut in Linz.
Die möglichen psychiatrischen Diagnosen nach Herzproblemen sind vielseitig:
- Posttraumatische Belastungsstörung: Ein Herzinfarkt führt oft zu einer PTBS. Man realisiert, dass man hätte sterben können, durchlebt immer wieder dieses Ereignis und fürchtet einen neuen Infarkt
- Depressionen: Jeder Fünfte erleidet nach einer KHK eine Depression
- Angst- und Panikstörungen
- Anpassungsstörungen: ängstlich-depressive Reaktionen
- Somatoforme autonome Funktionsstörungen („Herzphobie“)
- Agoraphobie („Platzangst“): Betroffene haben zum Beispiel Angst, alleine das Haus zu verlassen oder gar zu verreisen, denn sie brauchen die sichere Nähe der medizinischen Versorgung
- Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei Herzkrankheiten.
Schock durch Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens
Im Folgenden wird ein typisches Problem dargestellt, das viele Menschen bewältigen müssen, die einen Herzinfarkt hinter sich haben oder eine Operation am Herzen, oder denen „bloß“ vorsorglich ein Stent gesetzt wurde, damit sie keinen Gefäßverschluss erleiden. Jede dieser Situationen kann die erste ernsthafte Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des eigenen Todes bedeuten; es wird die eigene Sterblichkeit drastisch vor Augen geführt, für viele ein Schockerlebnis.
Zudem treten häufig Wiedererkrankungsängste auf. Diese Ängste können massiv ausfallen und die Persönlichkeit der Betroffenen zumindest vorübergehend verändern. Aus selbstsicheren Menschen können verängstigte, hilflose, verunsicherte Wesen werden, die sich aus der Bahn geworfen fühlen. Die Unsicherheit, wie es nun weitergeht, mangelnde Informationen und ein starkes Angstgefühl können sich festsetzen und bei fehlender Therapie ein dauerhaftes Problem werden.
Körperliche Beschwerden durch Ängste
Ängste verursachen zudem häufig körperliche Beschwerden in Herz- und Magengegend, die kaum von echten Herzbeschwerden unterschieden werden können. Viele Betroffene suchen daher wiederholt Ärzte auf, um den körperlichen Zustand kontrollieren zu lassen, da sie eine Wiedererkrankung befürchten. „Oft werden Beschwerden fälschlicherweise auf das Herz projiziert. So kommt es wegen Schmerzen im Brustbereich auch zu Panikattacken, die mitunter auf nichts anderem beruhen, als auf Verspannungen im Brust- oder Nackenbereich. In diesen Fällen kann Bewegung, Sport und Physiotherapie hilfreich sein“, sagt Morschitzky.
Depressionen behandeln
Aufgrund der Sorgen rund um das Herz rutschen viele Patienten in eine Depression. Viele wenden sich an ihren Hausarzt, der ihnen häufig Antidepressiva verschreibt. „Das Problem ist, dass bestimmte Antidepressiva den Blutdruck erhöhen können, während sich die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer für das Herz-Kreislaufsystem zwar durchaus positiv auswirken können, aber wegen anderer Nebenwirkungen öfter nicht gut vertragen werden. Kommt es etwa infolge einer zu hohen Dosierung zu Nebenwirkungen, sollte man sich an einen Facharzt wenden, also an einen Psychiater oder einen Internisten mit psychosomatischer Zusatzausbildung, der die Medikation überprüft und gegebenenfalls ändert“, rät Morschitzky.
Körperliche Fitness zurückerlangen
Menschen ziehen sich nach einem Herzproblem häufig zurück, selbst wenn das körperliche Problem gelöst wurde und keine Gefahr eines Infarktes besteht. Sie schonen sich übermäßig und vermeiden jede Anstrengung. Dadurch sinkt die körperliche Fitness, das Herzkreislaufsystem wird geschwächt und es steigt die Gefahr einer Depression und von Angststörungen. „Viele fürchten jedes Herzklopfen und trauen sich absolut nichts mehr zu. Am besten findet man wieder Vertrauen zu seinem Körper und damit Kraft und Stärke, wenn man unter Anleitung von geschultem Personal und am besten unter ärztlicher Anleitung mit körperlichem Training beginnt. Entweder in einer Reha oder in speziellen Fitnessstudios, die ärztlich betreut werden. Dadurch macht man die Erfahrung, dass der Körper noch funktioniert und man ihn fordern kann. Gelingt das, kann man auch selbstständig wieder sporteln, wie zum Beispiel in der Gruppe walken“, rät der Therapeut.
Mentale Stärkung
Regelmäßige Bewegung wie zum Beispiel Nordic Walking ist auch für die Psyche enorm wichtig. Zudem fördert körperliche Bewegung den Nachtschlaf. Ein bedeutender Punkt, da viele Angstpatienten Schlafprobleme haben und um diese zu beseitigen häufig zu Schlaftabletten greifen. Bei Schlafproblemen sollte man tagsüber körperlich aktiv sein und auf einen Schlaf tagsüber verzichten.
Bei ständigen Angstgedanken wird immer wieder das Stresshormon Kortisol ausgeschüttet. Ein Vorgang, der das Nervensystem überaktiviert und auf Dauer schädigt. Eine Psychotherapie kann dem entgegenwirken. Auch Entspannungsübungen wie Autogenes Training, Yoga oder Qi Gong können helfen, das Nervensystem zu beruhigen.
Der Partner ist kein Therapeut
Wenn ein Problem mit dem Herzen einen Menschen plötzlich ängstlich-depressiv macht, leidet darunter auch der Partner. Für ihn stellt sich die Frage, wie er mit der neuen Situation umgehen soll. Morschitzky rät:
- Seien Sie verständnisvoll für die Ängste und einfühlend
- Herzangstpatienten unternehmen selten etwas allein, sie brauchen anfangs jemand an ihrer Seite, der notfalls einen Arzt rufen könnte. Unternehmen Sie daher möglichst viel gemeinsam mit dem Partner. Gehen Sie mit ihm spazieren oder machen Sie gemeinsam Sport oder Ausflüge und gehen Sie gesellschaftlichen Anlässen nicht aus dem Weg.
- Sie sind nicht der Therapeut ihres Partners. Unterstützen Sie ihn so gut Sie können, doch übernehmen Sie nicht die medizinische Verantwortung. Wenn der Partner ständig von seinem medizinischen Problem spricht, schlagen Sie vor, dies mit dem Arzt zu besprechen. Würden Sie ständig und immerzu nur über das gesundheitliche Problem sprechen, würde Sie das selbst so schwächen, dass Sie bald keine Stütze mehr sein können. Grenzen Sie sich daher ab, wenn es nötig ist.
Dr. Thomas Hartl
Juli 2019
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