Schielen ist mehr als ein kosmetisches Problem. Jedes neu auftretende Schielen, ob bei Baby, Kind oder Erwachsenem, muss abgeklärt und adäquat therapiert werden.
Normalerweise sehen beide Augen in die gleiche Richtung und fixieren ein Objekt. Dabei entsteht in jedem Auge ein geringfügig unterschiedliches Bild, das im Gehirn zu einem einzigen Seheindruck in 3-D wird. Beim Schielen (Strabismus) weicht ein Auge von der Blickrichtung ab. „Entweder schielt immer das gleiche Auge oder die Augen wechseln einander ab. Man unterscheidet ein Außen- und Innenschielen, ein Höhenschielen und ein Verrollungsschielen. Ist der Schielwinkel so minimal, dass es kaum auffällt, spricht man von Mikrostrabismus“, erklärt Dr. Elke Schmidbauer von der Spezialambulanz für Orthoptik (Sehschule) am Kepler Universitätsklinikum Linz, Med Campus III. Etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung ist ein „Silberblick“ eigen. Die Diagnostik und Therapie führen Orthoptisten aus. Sie arbeiten mit dem Augenarzt im „Eye-Care-Team“. „Die Orthoptik ist ein Spezialbereich der Augenheilkunde. Orthoptisten erlernen in einer dreijährigen Ausbildung an der Fachhochschule die Diagnostik und Therapie von Funktionsstörungen der Augen“, sagt Ulrike Pichler, MSc, leitende Orthoptistin der Sehschule.
Mit dem Baby zum Arzt
Die Sehentwicklung eines Kindes passiert in den ersten beiden Jahren. „Bis zum vierten Monat ist das Schielen unbedenklich. Ab dann beginnt das Baby bewusst zu fokussieren. Wenn dabei ein Schielen auffällt, muss es orthoptisch abgeklärt werden“, sagt die angehende Augenärztin. Sie rät, die im Mutter-Kind-Pass vorgesehenen Augenuntersuchungen unbedingt durchzuführen. Die Gefahr eines unbehandelten Schielens ist, dass das Kind auf einem Auge das Sehen nicht lernt. „Denn das Gehirn schaltet das schwache, schielende Auge aus, um dem Kind Doppelbilder zu ersparen“, so Dr. Schmidbauer. Werden keine Gegenmaßnahmen ergriffen, bleibt die Schwachsichtigkeit, die „Amblyopie“, für immer, da die Entwicklung des Sehvermögens mit dem sechsten Jahr abgeschlossen ist. Schielen kann sehr früh auftreten und kommt familiär gehäuft vor. Frühgeburtlichkeit erhöht das Risiko. Häufig wird das kindliche Schielen durch eine hohe Weitsichtigkeit verursacht.
Je nach Schielursache werden dem Kind Brillen angepasst und/oder eine Okklusionstherapie begonnen. Dabei wird das sehstarke Auge mit Spezialpflastern oder Folien zugeklebt, um das schwache Auge zum Sehen zu zwingen. So wird eine Amblyopie vermieden oder behandelt. Die Therapie wirkt auf die Entwicklung der Sehstärke, beeinflusst aber den Schielwinkel nicht. Dieser kann operativ verkleinert und die Fehlstellung der Augen verbessert werden. In einem minimalinvasiven Eingriff werden Augenmuskeln verlagert. Dadurch ändert sich die Muskelkraft und somit die Stellung der Augen zueinander.
Lähmungsschielen tritt bei Groß und Klein auf. Aufgrund gelähmter Nerven funktionieren die Augenmuskeln nicht richtig. Dies kann durch Entzündungen, Durchblutungsstörungen, einen Tumor oder ein Aneurysma im Gehirn auftreten. Bei Erwachsenen zeigen sich im Gegensatz zu Kindern fast immer Doppelbilder. Plötzlich auftretende Doppelbilder können auch Symptome eines Schlaganfalls sein und müssen umgehend abgeklärt werden.
Zwei Drittel der operierten Patienten im Kepleruniklinikum sind Erwachsene. Häufiger Grund für eine Operation ist die psychosoziale Belastung durch das Schielen, die auftretenden Doppelbilder oder asthenope Beschwerden, eine Sehüberanstrengung durch latentes Schielen. Das Schielen kann teilweise auch mit Prismenbrillen behandelt werden.
Mag. Christine Radmayr
Oktober 2019
Kommentar
Dr. Elke Schmidbauer
Klinik für Augenheilkunde, Kepler Universitätsklinikum Linz
Bild: shutterstock; privat