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Polypharmakotherapie: Ist manchmal weniger mehr?


Dr. Michael SokolDer Autor:
Dr. Michael Sokol

ist Allgemeinmediziner und Mitarbeiter des chefärztlichen Dienstes der SVA der Bauern mit Schwerpunkt Behandlungsökonomie.



KURZFASSUNG


   In der modernen Medizin spielt die Anzahl der Wirkstoffe und die sich daraus ergebende Problematik der Polypharmakotherapie eine immer größere Rolle und gibt Anlass zu zahlreichen Diskussionen.
Unbestrittene Tatsache ist, dass mit der Anzahl der Wirkstoffe das Risiko von Wechselwirkungen, die sich schädigend auf den Patienten auswirken, steigt.
Um das Risiko besser abschätzen zu können, wurde daher in der SV der Bauern eine Arbeit mit dem Titel “Polypharmakotherapie bei der bäuerlichen Population“ durchgeführt. Dazu wurden folgende Fragestellungen beantwortet:

  • Wie viele Wirkstoffe nimmt der bäuerliche Patient in einem Jahr zu sich und sind die Ergebnisse mit Aussagen anderer Erhebungen vergleichbar?
  • Ist die Anzahl der unterschiedlichen Wirkstoffe für die Therapie unerlässlich oder können Modifikationen im Spannungsfeld Behandlungsökonomie ohne Qualitätsverlust bei der medikamentösen Krankenbehandlung durchgeführt werden?
  • Ist es möglich durch Modifikation der Therapie einen Qualitätsgewinn zu erzielen?


225.574 der bäuerlichen Patienten (≙ 99,26% der Heilmittelbezieher) erhalten 2008 monatlich 1-15 Medikamente verordnet. 1.691 Patienten werden mit mehr als 15 Verordnungen pro Monat versorgt.
Um die die Problematik der Polypharmakotherapie in der Praxis zu veranschaulichen, wurde in einem weiterer Analyse exemplarisch acht, im klinischen Alltag zu findende Medikamentenkombinationen, wissenschaftlich ausgewertet und in Bezug zu klinischen Studien gesetzt, um die Größenordnung greifbar zu machen. Folgende Kombinationen wurden zur Bewertung herangezogen:

  • Paracetamol + Cumarin/Phenprocoumon
  • NSAR + Acetylsalicylsäure
  • ACE Hemmer + NSAR
  • NSAR + SSRI
  • NSAR + Cumarin/Phenprocoumo
  • NSAR + Diuretika
  • SSRI + Triptane (Migräne)
  • SSRI + Opioide


Für diese Medikamentenkombinationen wurden folgende Fragestellungen herangezogen:

  • Wie viele bäuerliche Patienten wurden mit bestimmten Therapiekombinationen im Jahr 2008 medikamentös behandelt, bei denen von Wechselwirkungen auszugehen ist?
  • Ist die Anzahl der unterschiedlichen Wirkstoffe für die Therapie unerlässlich oder können Modifikationen im Spannungsfeld der Behandlungsökonomie ohne Qualitätsverlust bei der medikamentösen Krankenbehandlung durchgeführt werden?
  • Besteht eine Korrelation zwischen den Krankenhausaufenthalten in einem Bundesland zu den erhöhten Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten?


2008 bezogen 230.198 Patienten Heilmittel, von denen 24.732 Patienten Verordnungen aufweisen, die den acht Arzneimittelwechselwirkungsgruppen zuzuordnen sind. Das entspricht 10,74% aller bäuerlichen Patienten.

Aus klinischer Sicht sind die Wechselwirkungsgruppen (NSAR + SSRI / NSAR + Cumarin/Phenprocoumon / SSRI + Opioide) die Gruppen mit der größten klinischen Relevanz. Es kommt hier zu Blutungen (NSAR + SSRI), die teilweise das Blutungsrisiko um das 15-fache erhöhen. Zusätzlich birgt diese Verschreibung auch das Risiko eines Serotoninsyndroms, das einen lebensbedrohlichen Zustand darstellt.
Bei der Kombination von NSAR + Cumarin/Phenprocoumon muss eine engmaschige Kontrolle der Gerinnungsparameter erfolgen, damit einerseits der Nutzen der Therapie maximiert wird, andererseits das Risiko minimiert werden kann.

Da die ermittelten Patientendaten auf Abrechnungsdaten basieren, und ein klinischer Bezug nur zu den oben genannten Studien beruht, bedarf es weiterer Studien mit klinischem Bezug und größerer Patientenpopulation.
Die oben genannten Richtwerte zeigen auf, dass die Problematik der Polypharmakotherapie eine große Patientengruppe betrifft.
Für die Betroffenen stellt dies eine Einschränkung ihrer Gesundheit, in Einzelfällen sogar eine Gefährdung dar.
Eine Aufarbeitung dieser Problematik würde nicht nur dem einzelnen Patienten in vielen Fällen eine Verbesserung ihrer Lebensqualität bringen, sondern auch aus ökonomischer Sicht einen wesentlichen Beitrag zur Kostensenkung im Heilmittel- und Spitalsbereich bewirken.

Zuletzt aktualisiert am 07. März 2022