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Erstes Primärversorgungszentrum in Oberösterreich eröffnet


Mag. Franz Kiesl, MPMDie AutorInnen:

Mag. Franz Kiesl, MPM


ist Ressortdirektor in der OÖGKK und für den Bereich Vertragspartner sowie Gesundheitsförderung zuständig.


MMag. Andrea Floimayr, MPH

MMag. Andrea Floimayr, MPH


ist Mitarbeiterin der Abteilung Behandlungsökonomie in der OÖGKK.


KURZFASSUNG

 

Das erste Primärversorgungszentrum in Oberösterreich hat im Jänner 2017 seinen Betrieb aufgenommen. Insgesamt drei Jahre hat es von der Konzeption, den Verhandlungen bis hin zur tatsächlichen Umsetzung gedauert, bis das Pilotprojekt in Enns nun tatsächlich starten konnte. Die Einrichtung in Enns erfüllt dabei wesentliche Qualitätskriterien des Bundeskonzepts. Bis auf das Primärversorgungszentrum Wien-Mariahilf konnten noch keine weiteren Modelle in Österreich realisiert werden. Die Erwartungen hinsichtlich des Nutzens dieses Modells in Enns sind hoch.

 

Primärversorgung („Primary Health Care“)

Der Begriff der Primärversorgung wird oft fälschlicherweise mit hausarztzentrierter Versorgung oder medizinischer Grundversorgung gleichgesetzt. Zwar ist es richtig, dass Allgemeinmediziner als Generalisten eine bedeutende Rolle einnehmen, jedoch greift diese Beschreibung zu kurz. Zur genauen Klärung wird in die Begrifflichkeiten eingeführt und der Hintergrund für die Stärkung der Primärversorgung in Österreich dargelegt. „PHC“ ist die Ebene, wo Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften in Kontakt mit dem Gesundheitssystem treten. Primärversorgung stellt somit das erste Element eines kontinuierlichen Prozesses der Gesundheitsversorgung dar und umfasst gesundheitsfördernde, präventive, kurative, rehabilitative und palliative Maßnahmen. „PHC“ bringt eine multiprofessionelle und integrative ganzheitliche Versorgung so nahe wie möglich an den Wohnort und Arbeitsplatz der Menschen und fördert die Partizipation, Selbstbestimmung und Entwicklung von personellen und sozialen Fähigkeiten. In Österreich wird im Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz die Primärversorgung als „die allgemeine und direkt zugängliche erste Kontaktstelle für alle Menschen mit gesundheitlichen Problemen im Sinne einer umfassenden Grundversorgung“ definiert. Sie soll den Versorgungsprozess koordinieren und gewährleistet ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung.

 

Verständnis von Primärversorgung (“Primary Health Care

Primärversorgung nach „PHC“ im Sinne des Bundes-Zielsteuerungsvertrages (B-ZV) und des auf dieser Basis erarbeiteten Konzeptes „Das Team rund um den Hausarzt“ ist demnach eine moderne, wohnortnahe Gesundheitsversorgung, welche das erste Glied eines kontinuierlichen Versorgungsprozesses darstellt, in der sich ein interdisziplinäres, multiprofessionelles und integratives Primärversorgungsteam, bestehend aus Allgemeinmedizinern, Pflegekräften, Wundmanagern, Sozialarbeitern, Therapeuten, Hebammen und anderen Gesundheits- und Sozialberufen, umfassend und dauerhaft um Individuen und Bevölkerungsgruppen in allen Phasen von Gesundheit und Krankheit kümmert und dafür Sorge trägt, dass jede Behandlung auf der geeigneten Versorgungsebene stattfindet („best point of service“).

 

Primärversorgung umfasst auch Gesundheitsförderung und Prävention sowie die Stärkung des Selbstversorgersystems. Besonders in Anbetracht der Vision, wonach allen Menschen ein längeres und selbstbestimmtes Leben bei guter Gesundheit zu ermöglichen ist (siehe auch Bundes- und Landes-Zielsteuerungsverträge), muss die Erhaltung und Förderung der Gesundheit primäres Ziel einer Gesundheitsversorgung sein. Aber auch die Stärkung des Selbstversorgersystems durch Verbesserung des Selbstmanagements und der Gesundheitskompetenz ist von Bedeutung. Dies gilt vor allem für die Betreuung und Pflege zu Hause, die Laienversorgung geringfügiger Befindlichkeitsstörungen (z.B. fieberndes Kind, verstauchter Knöchel) und das Management chronischer Erkrankungen durch die Betroffenen selbst.

 

Gründe für eine starke Primärversorgung in Österreich

Das Gesundheitswesen leidet vor allem unter der geteilten Zuständigkeit hinsichtlich Finanzierung und Steuerung (intramuraler Bereich: insbesondere Land, extramuraler Bereich: Sozialversicherung). So wie die ambulante Versorgung derzeit organisiert ist, kommt es zu einer Fragmentierung des Gesundheitssystems. Dadurch entstehen Mehrfachuntersuchungen, Qualitätsverluste bei der Patientenbetreuung und erhöhte Krankenhauseinweisungen. Zudem ist unser derzeitiges Primärversorgungssystem medizinisch geprägt, krankheitsorientiert und besteht weitgehend aus Einzelpraxen, in denen keine ausreichende Kommunikation und Kooperation zwischen den Bereichen stattfindet. Eine Verknüpfung zum Sozialberich fehlt ebenso.

 

Im Jahr 2008 veröffentlichte die WHO in Form des Weltgesundheitsberichtes eine Publikation zum Thema „Primary Health Care – now more than ever“. Dabei wurde bekräftigt, dass es in den letzten 30 Jahren zu wenig Fortschritt in der Entwicklung der Primärversorgung gegeben habe und das damalige Konzept „PHC“ wichtiger sei denn je. Besonders in Zeiten demographischen Wandels, veränderter Bedürfnisse älterer und chronisch kranker Patienten, steigender Gesundheitsausgaben, eines zerklüfteten Systems zwischen ambulantem und stationärem Sektor benötigt es eine starke Primärversorgung.

 

Auch innerhalb der veröffentlichten Publikation der Europäischen Kommission zur Primärversorgung aus dem Jahr 2014 kommt ein Experten-Panel zum Schluss, dass die Stärkung der Primärversorgung sowie die intersektorale Verschränkung der verschiedenen politischen Bereiche im Sinne von „health in all policies“ unbedingt benötigt wird. Die Publikation weist darauf hin, dass es genügend Evidenz gibt, dass eine starke Primärversorgung bessere Gesundheitsergebnisse erzielt, gerechter im Zugang sowie effektiver und effizienter in der Versorgung ist und multiprofessionelle Primärversorgungsteams benötigt werden, um den wachsenden Aufgaben gerecht zu werden.

 

Entstehungsgeschichte der Primärversorgungsmodelle

Wie internationale Evaluierungen zeigen, ist in Österreich die Primärversorgung noch unterdurchschnittlich ausgeprägt. Da aber eine starke Primärversorgung zentrales Element für eine effektive und effiziente Gesundheitsversorgung ist, wurde die Stärkung der Primärversorgung „nach internationalem Vorbild“ explizit in der Gesundheitsreform 2013 festgelegt.

 

Zur gemeinsamen Umsetzung der Gesundheitsreform einigten sich Bund, Länder und Sozialversicherung auf den ersten B-ZV für die Jahre 2013 bis 2016. Das operative Ziel 6.1.2 des B-ZV sah somit vor, multiprofessionelle und interdisziplinäre Primärversorgung („Primary Health Care“) bis Mitte 2014 zu konzeptionieren und in der Folge Primärversorgungsmodelle auf Landesebene bis 2016 umzusetzen. Klarer Zielwert im B-ZV war, bis Ende 2016 mindestens ein Prozent der Bevölkerung pro Bundesland im Rahmen der neuen Primärversorgungsmodelle zu versorgen.

 

Initiative aus Oberösterreich

Im Jahr 2012, zur gleichen Zeit wie auf Bundesebene die Gesundheitsreform ausverhandelt wurde, gründeten die Stadtgemeinde Enns und Dr. Wolfgang Hockl (Allgemeinmediziner in Enns) im Zuge der Schließung des lokalen Krankenhauses eine Gesundheitsplattform. Ziel dieser Plattform war es, die Versorgung in Enns durch ein neues Gesundheitszentrum sicherzustellen sowie die Strukturen im niedergelassenen Bereich anzupassen bzw. zu attraktiveren.

 

Zur Verwirklichung dieser Idee wurden Gespräche mit der OÖ Gebietskrankenkasse (OÖGKK), dem Land Oberösterreich (OÖ) und der Ärztekammer (ÄK) für OÖ aufgenommen. Ein erster Grobentwurf für ein Gesundheitszentrum in Enns (GHZ Enns) wurde den Gesprächspartnern unter der Führung von Wolfgang Hockl zur Prüfung vorgelegt. Da feststand, dass die Stärkung der Primärversorgung nach „PHC“ als wesentliches gesundheitspolitisches Ziel in Österreich verankert werden sollte, wurde in den Vorgesprächen mit der OÖGKK und dem Land OÖ die Plattform in Enns verstärkt auf das PHC-Konzept verwiesen. Im September 2012 wurde dann zwischen dem Land OÖ, der OÖGKK und Wolfgang Hockl die Installierung einer Arbeitsgruppe unter der Projektleitung der OÖGKK vereinbart. Ziel war es, in einem partizipativen Prozess unter Beteiligung von unterschiedlichen Stakeholdern:

  • ein idealtypisches Primärversorgungsmodell gemäß dem internationalen Verständnis von „Primary Health Care“ (PHC) zu entwickeln und
  • anschließend dessen Umsetzbarkeit in der Pilotregion Enns zu prüfen sowie die dafür notwendigen Maßnahmen darzustellen.

Im Jänner 2013 startete im Auftrag der OÖGKK und des Landes OÖ das Konzeptionsprojekt, bestehend aus Mitgliedern der OÖGKK, dem Land OÖ, der OÖ Ärztekammer sowie Wolfgang Hockl. Das Projekt wurde fachlich durch Dr. Martin Sprenger (Med. Univ. Graz) begleitet. Bis Ende 2013 wurde dann am idealtypischen Primärversorgungsmodell für OÖ gearbeitet. Anschließend erfolgte bis Mai 2014 die Prüfung und Umsetzung des Konzeptes für die Pilotregion in Enns. In insgesamt 16 Projektsitzungen wurde das Projekt ausgearbeitet.

 

Primärversorgungskonzept für Österreich

Im Jänner 2014 beauftragte die Bundes-Zielsteuerungskommission (B-ZK) die Fachgruppe Innovation zur Konzeption eines neuen Primärversorgungsmodells für Österreich. Die Fachgruppe Innovation ist eine von sechs Fachgruppen, die für die Abarbeitung der im B-ZV vereinbarten Ziele zuständig sind. Im Juni 2014 wurde das Bundeskonzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung – „Das Team rund um den Hausarzt“ – in der B-ZK beschlossen. Durch eine neue Ausrichtung der Primärversorgung sollten dabei folgende Ziele für die Patienten und Gesundheitsberufe sichergestellt werden und die neuen Primärversorgungsmodelle

haben folgende Anforderungen erfüllen:

  • Primärversorgungsmodelle sind die erste Anlaufstelle im Gesundheitsversorgungssystem bei allen Gesundheitsanliegen.
  • Angebot von Gesundheitsförderung und Prävention sowie die Stärkung der Gesundheitskompetenz werden in der Primärversorgung wahrgenommen.
  • Umfassende Behandlung von Akuterkrankungen und chronischen Erkrankungen mit dem Ziel, akute Krankheitsgeschehen möglichst rasch einer adäquaten Behandlung zuzuführen und bei chronischen Krankheiten das Management zu optimieren.
  • Versorgungsprozess nach innen und außen koordinieren, Informationen sicherstellen sowie die Beanspruchung der nachgeordneten Sektoren sinnvoll steuern (Lotsenfunktion).
  • Die Primärversorgung beteiligt sich an der Erfüllung der Ziele und Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes (z.B. Totenbeschau, Untersuchungen nach dem Unterbringungsgesetz, Impfungen, etc.).
  • Die neuen Primärversorgungsstrukturen sind auch Ausbildungsstätten für junge Health Professionals (Lehrpraxis).
  • Primärversorgungsstrukturen leisten einen Beitrag zur Wissensgenerierung über den Versorgungsbedarf bzw. die Bedürfnisse und Präferenzen in der Bevölkerung (Versorgungsforschung).

 

Umsetzung des Primärversorgungsmodells in Enns

Um das bundesweite Primärversorgungskonzept in Enns tatsächlich umzusetzen, wurden im Mai 2014 von der OÖGKK alle relevanten Stakeholder an einen Tisch gebracht. Ziel war, unter Beisitz der der OÖGKK, dem Land OÖ, OÖ ÄK, Stadt Enns und Wolfgang Hockl) ein gemeinsames Commitment für die tatsächliche Realisierung zu erzielen. Daraufhin wurde ein Verhandlungsteam aus Mitgliedern der OÖGKK, der Sonderversicherungsträger, Land OÖ, der OÖ Ärztekammer und Wolfgang Hockl gebildet. Im Juli 2014 fand das Startgespräch zu den Verhandlungen statt. Dabei wurden folgende Zielsetzungen festgesetzt:

  • Verbesserung der Patientenversorgung in Enns im Bereich Zugänglichkeit, Leistungsumfang, Verkürzung der Wartezeiten auf Termin, etc.
  • Verbesserung der Arbeits- und Rahmenbedingungen für die Anbieter sowie
  • die Erzielung eines Mehrwertes für die Financiers, sprich Spitalsentlastung, effizienter Einsatz der Ärzteressourcen, Abdeckung nicht mehr besetzbaren Einzelpraxen, etc.

In der Startsitzung wurde darüber hinaus vereinbart, dass das Verhandlungsteam ein konkretes Konzept auszuarbeiten hat. Bis Mitte Dezember 2014 wurde auf Basis der vorgelegten Unterlagen in vier Verhandlungsrunden das Primärversorgungsmodell Enns als Einrichtung an einem Standort ausverhandelt.

 

Vertragliche Umsetzung und Rechtsform

Das PHC-Zentrum wird als Gruppenpraxis organisiert. Die vertragliche Regelung erfolgt somit innerhalb des OÖ Gruppenpraxen-Gesamtvertrages und eines darauf aufbauenden Einzelvertrages. Dabei schließt die OÖGKK für Krankenversicherungen in OÖ einen Vertrag mit der Einrichtung ab. Die ärztliche Gruppenpraxis ist als Ärzte-GmbH geführt. Die Einbindung des erweiterten Primärversorgungsteams erfolgt über ein Anstellungsverhältnis oder über Zukauf der Leistung durch die Ärzte-GmbH.

 

Teamzusammensetzung

Im Primärversorgungszentrum arbeitet ein interdisziplinäres, multiprofessionelles Team bestehend aus sechs Allgemeinmedizinern, zwei Diplomkrankenschwestern, fünf Ordinationsassistentinnen, zwei Physiotherapeuten, ein Sozialarbeiter sowie ein Primärversorgungsmanager. Ergänzt wird das Team durch Teilzeitstellen für die Bereiche Psychotherapie, Diätologie, Ergotherapie, Logopädie und Geburtshilfe. Auch wird künftig ein ärztlicher Lehrpraktikant das Team verstärken.

 

Standort und Infrastruktur

Es handelt sich beim Primärversorgungsmodell Enns um eine zentrale Einrichtung an einem Standort. Das bedeutet, alle Mitglieder befinden sich unter einem Dach. Da in Enns kein bestehendes Gebäude zur Adaptierung geeignet war, entschloss man sich für einen Neubau. Errichter und Betreiber des PHC-Zentrums sind die teilnehmenden Ärzte. Im April 2016 erfolgte der Spatenstich. Die Stadtgemeinde stellte dem Zentrum das Grundstück mit einem Baurechtsvertrag zur Verfügung und unterstützte den Bau mit einer Anschubfinanzierung. Nach einer Bauzeit von neun Monaten konnte im Jänner 2017 der Betrieb aufgenommen werden.

 

Honorierungsform

Die Primärversorgung Enns erhält eine Pauschalhonorierung durch die SV und dem Land OÖ. Die jährliche Pauschalsumme beinhaltet die Abdeckung der laufenden Gesamtkosten sowie eine Einkommensgarantie für Ärzte auf Basis ihrer vorigen Einkommen vor Steuern erhöht um fünf Prozent. Nach- oder Rückzahlungen erfolgen nach dem Nachweis der tatsächlichen Kosten. Als Rahmen dafür wurde mit dem PHC-Zentrum Enns ein entsprechendes Bemühen zur Wirtschaftlichkeit vereinbart.

 

Finanzierung und Anschubfinanzierung

Finanziert wird die Einrichtung durch die OÖGKK, Sonderversicherungsträger sowie das Land OÖ. Darüber hinaus erhält das Zentrum Enns eine Einmalfinanzierung aus EU-Mitteln, welche auf die Zahlungen von Land und Sozialversicherung angerechnet werden. Folgende Finanzierungsaufteilung kommt dabei zum Tragen:

  • Die Finanzierung der laufenden jährlichen Mehrkosten erfolgt zu 35 Prozent vom Land OÖ und zu 65 Prozent von der Sozialversicherung. Mehrkosten sind zusätzliche Ausgaben, die im Vergleich zur vertragsärztlichen Versorgung noch anfallen (z.B. durch erweitertes Personal, vergrößertes Leistungsspektrum etc.).
  • Darüber hinaus einigten sich die Financiers, dass der Versorgungsmanager in Enns bereits vor Start der Einrichtung für die maximale Dauer von insgesamt drei Jahren finanziert wird. Die Kosten dafür teilen sich zur Hälfte das Land OÖ und die Sozialversicherung.
  • In den Verhandlungen wurde auch vereinbart, dass für Übersiedlung und EDV-Kosten eine einmalige Anschubfinanzierung erfolgt. Der Sinn dahinter ist, dass die meisten Leistungserbringer derzeit in voll ausgestatten Praxen tätig sind. Durch die Übernahme dieser Kosten durch die Financiers soll ein Anreiz zum Wechsel in das Primärversorgungsmodell gesetzt werden.

 

Dauer des Pilotprojektes

Das Pilotprojekt in Enns ist mit einer Dauer von fünf Jahren festgesetzt. Das Projekt wird laufend evaluiert, sodass zeitgerecht die Entscheidung über den Regelbetrieb getroffen werden kann. Falls das PHC-Modell nicht als solches fortgesetzt werden sollte, leben die ruhend gestellten Einzelverträge wieder auf. Die Ärzte können dann als niedergelassene Vertragspartner oder weiterhin als Gruppenpraxen tätig sein, falls die Voraussetzungen des OÖ Gruppenpraxis-Gesamtvertrages vorliegen.

 

Erste Erfahrungen mit dem Modell in Enns

Nach Auskunft des Primärversorgungsmanagers kommen derzeit etwa 600 Patienten täglich ins Zentrum. Außer den Akutfällen vereinbaren die Patienten Termine, wodurch hohe Wartezeiten vermieden werden können. Grundsätzlich ist der Ablauf so organisiert, dass die Patienten von derselben Person betreut werden. Zudem führen Diplomkrankenschwestern schon vereinzelt Hausbesuche durch. Ziel ist, die neuen Leistungsangebote Schritt für Schritt zu implementieren, um Überlastungen und Überforderungen des Teams zu vermeiden. Die Arbeitszufriedenheit der dort tätigen Personen scheint ebenfalls hoch zu sein. So werden regelmäßige Team- und Fallbesprechungen durchgeführt und der Organisationsablauf laufend optimiert.

 

Erfolgsfaktoren für die Primärversorgungsmodelle

Obwohl Einvernehmen über Sinn und Nutzen neuer Versorgungsformen wie dem Primärversorgungsmodell in Enns besteht, kann die Einführung im Alltag aufgrund unzureichender Bedingungen, unlösbar erscheinender Verhandlungsprozesse sowie Eigeninteresse der beteiligten Akteure scheitern. Auf Basis der Erfahrungen in Enns werden im Folgenden aus Sicht der Autoren die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Realisierung von neuen Primärversorgungsmodellen dargestellt:

  • Problemstellung, Ziele und Inhalte müssen klar definiert sein: Wesentlicher Erfolgsfaktor für die Umsetzung ist, dass für alle Beteiligten ein offensichtlicher Verbesserungsbedarf vorliegt. Probleme müssen nachvollziehbar für alle Akteure sein. In einem weiteren Schritt sind dann die gemeinsamen Ziele und Inhalte zur Problemlösung abzuleiten.
  • Gegenseitiges Vertrauen, Transparenz und Partizipation herstellen: Jeder Anfang ist schwierig. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die gemeinsame Umsetzung ist es, die Aspekte Transparenz, Partizipation und gemeinsame Verantwortung bei allen Akteuren in den Mittelpunkt zu rücken. Die Basisarbeit ist unumgänglich und muss im Vorfeld gemacht werden. Nachdem die Primärversorgungsmodelle meist nicht parallel zu bestehenden Einzelpraxen aufgebaut werden, sondern es primär um Überführung bestehender Vertragsarztstellen in diese neue Struktur geht, ist es für die Autoren unerlässlich, die Interessenvertretung der Ärzte in den Gestaltungsprozess einzubinden.
  • Leitfiguren fördern die Umsetzung: Die Umsetzung von Projekten ist oft eng verknüpft mit der Rolle von Leitfiguren, die Projekte in Gang setzen, fördern und vorantreiben. So waren auf verschiedenen Seiten engagierte Personen tätig. W. Wolfgang Hockl war ein wesentlicher Promoter auf Seiten der Ärzte, der durch Gespräche mit Kollegen und anderen Berufsgruppen überzeugen konnte.
  • Einsatz eines Primärversorgungsmanagers: Ab einem bestimmten Grad an Komplexität hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, schon vor dem Start einen Manager einzusetzen und ihn vorzufinanzieren. Wesentliche Aufgabenbereiche des Primärversorgungsmanagers waren die Ausarbeitung der Neubaupläne, die Abklärung von rechtlichen Fragen, die Erarbeitung eines Organisationskonzepts, die Übernahme von Personalagenden, etc.
  • Finanzielle Anreizsetzung: Für die Motivation zur Teilnahme am PHC-Modell durch die Leistungserbringer ist auch eine finanzielle Anreizsetzung z.B. in Form einer Anschubfinanzierung oder Einkommensgarantien zu empfehlen. Denn für Leistungspartner ist der Wechsel aus einer Vertragspraxis in ein PHC-Modell mit Risiken verbunden (Aufgabe eigener Praxis, Umsiedelung, Arbeit im Team, etc.). Als Absicherung für die Partner sollten daher z.B. anfallende Umzugskosten und die EDV-Ausstattung von Kostenträgern finanziert und es soll von Beginn an klar geregelt werden, welche Einkommen zu erwarten sind.
  • Finanzierung muss geklärt sein: Eine wesentliche Hürde, die zu bewältigen ist, ist die gemeinsame Finanzierung dieser Projekte. Die gemeinsame Planung und Steuerung der Gesundheitsversorgung ist erklärtes Ziel der Gesundheitsreform. Wichtig ist, dass im Vorfeld vertrauensvolle Kooperation geschaffen wird und ein transparentes Finanzkonzept zwischen der SV sowie dem Land vorliegt. Dabei sind Kostenklarheit und faire Ausgleichsregelungen von großer Bedeutung.
  • Evaluierung muss stattfinden: Wesentlicher Erfolgsfaktor für die nachhaltige Umsetzung ist, dass innerhalb der Projektdauer Evaluierungen stattfinden. Durch Erfolgskontrollen soll ein Nachsteuern und Anpassen ermöglicht werden. Dieses Instrument ist wichtiger Nutzenstifter. Zu bedenken ist, dass organisatorisches Neuland betreten wird und die PHC-Modelle keine statischen Gebilde sind, sondern lernende Organisationen.

 

Zusammenfassung und Ausblick

In den letzten Jahrzehnten haben sich Rahmenbedingungen und die Anforderungen an das Gesundheitssystem durch demographische, technische und gesellschaftliche Aspekte verändert. Anpassungen durch neue Versorgungskonzepte sind notwendig, um den neuen Herausforderungen, insbesondere Problemen bei der Nachbesetzung von Vertragsarztstellen, gerecht zu werden. Auch das Arbeitsumfeld spielt verstärkt eine Rolle. Die Gesundheitsreform hat die Primärversorgung auch als wichtiges Anliegen definiert. So steht für die Zielsteuerungsperiode 2017 bis 2020 der Ausbau der Primärversorgung durch neue interdisziplinäre, multiprofessionelle Modelle im Mittelpunkt. Rechtliche Basis dafür bilden die beiden 15a-Vereinbarungen über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens sowie die Zielsteuerung-Gesundheit. Demnach sollen zumindest 75 neue, Primärversorgungseinheiten realisiert werden. Für eine flächendeckende Umsetzung benötigt es die Akzeptanz der Bevölkerung, der Gesundheitsdienstleister sowie der Kostenträger und der Politik. In diesem dynamischen Prozess werden sicher noch Hürden zu bewältigen sein, die Anpassungen notwendig machen, die aus heutiger Sicht noch nicht identifizierbar sind. Das neu eröffnete Primärversorgungszentrum in Enns ist aber sicher ein Meilenstein in der derzeitigen Gesundheitsversorgung und ein großer Schritt in die richtige Richtung. Dass noch viele Primärversorgungszentren im Sinne von Enns errichtet werden, ist der österr. Gesundheitsversorgung zu wünschen.


Zuletzt aktualisiert am 14. November 2020