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„Soziale Mobilität und Einkommensungleichheiten“ – 8. Sozialstaatsenquete des Hauptverbandes


27. Oktober 2014


Experten präsentieren Studien über Chancen und Möglichkeiten der Kinder abhängig von der Einkommenssituation der Eltern

 

Mag. Martin Schaffenrath, stv.Vorsitzender im Hauptverband: Wachsende Ungleichheiten der Einkommen als Herausforderung für die solidarische Sozialversicherung

Für den Gesundheitszustand des Einzelnen sind eine Vielzahl von Faktoren maßgeblich: der persönliche Lebensstil, individuelle Veranlagungen, die Umweltsituation, aber auch das gesellschaftliche und das soziale Umfeld in dem die Menschen leben. So sind etwa die Rückwirkungen einer hohen und nicht gerechtfertigten Einkommensungleichheit auf die Gesundheit und die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung durch eine Vielzahl von Untersuchungen belegt. „Die Sozialversicherung muss sich daher mit allen gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen nicht nur auseinandersetzen, sondern auch entsprechende sozialpolitische Initiativen und Maßnahmen setzen, wenn sie einen derart hohen Einfluss auf die Lebenssituation ihrer Versicherten, konkret die gesundheitliche Situation haben“, betont Mag. Martin Schaffenrath, stv. Vorsitzender des Verbandsvorstandes im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.  

„Als Bestandsaufnahme verschiedener gesellschaftlicher und sozialpolitischer Entwicklungen, die in einer engen Wechselwirkung mit  Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen stehen,  veranstalten wir daher  jährlich gemeinsam mit dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) die Sozialstaatsenquete“, so Schaffenrath.

 

Die in Folge achte Veranstaltung, an der Experten aus Österreich, Deutschland und Schweden teilnehmen, ist dem Thema „Soziale Mobilität und Einkommensungleichheiten“ gewidmet.

Die Experten präsentieren neue Studien zu den langfristigen Folgen wachsender Einkommensungleichheiten und deren Auswirkungen auf die Kindergeneration. Diese sind bislang zwar noch wenig untersucht und dokumentiert. Es gibt aber eindeutige empirische Ergebnisse der steigenden Chancenungleichheit junger Generationen im Zusammenhang mit der steigenden Einkommensungleichheit. Die fatale Auswirkung: die Chancen und Möglichkeiten der Kindergeneration werden insgesamt immer schlechter, weil eine wachsende Zahl von Eltern immer weniger verdient. „Das ist eine Herausforderung für eine Sozialversicherung, die dem  Solidaritätsprinzip, also dem Ausgleich von gesellschaftlichen oder individuellen Ungleichheiten verpflichtet ist. Wir haben daher die sozialpolitische Verpflichtung mit geeigneten Initiativen derartigen negativen Entwicklungen gegen zu steuern“, so Schaffenrath abschließend.


Prof. Mag. Dr. Karl Aiginger, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung: Die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Gesellschaft ist enorm wichtig

„Die WIFO-Institutsphilosophie ist es, wirtschaftliche und soziale Systeme gemeinsam als untrennbar zu analysieren. Wir sehen Sozialpolitik nicht als Hemmschuh für den wirtschaftlichen Erfolg, sondern als Produktivkraft, Wachstumstreiber, Stärkung der Konkurrenzfähigkeit. Damit sind wir nicht immer konform mit anderen Wettbewerbsanalysen und Forschungsinstituten im In- und Ausland. In diesem Ansatz ist auch der Austausch mit sozialstaatlichen Institutionen zentral. Hier nimmt die Sozialstaatsenquete „Soziale Mobilität und Einkommensungleichheit“ – die heuer bereits zum 8. Mal stattfindet – eine wichtige Funktion ein“, so Aiginger.  

Fragen der Einkommensverteilung und der sozialen Mobilität werden immer wichtiger, auch und gerade in einer Gesellschaft mit niedrigen Wachstumsraten. Wachstum ist eine Möglichkeit, Einkommensunterschiede auszugleichen, ohne dass die Einkommen der Wohlhabenden absolut sinken müssen.

Leichter als Einkommensunterschiede über Steuern auszugleichen ist es, zu verhindern, dass sie entstehen indem Bildungschancen angeglichen werden, Einkommensunterschiede nicht von Generation zu Generation weitergeben werden und dass für Personen mit schlechtem Start ins Leben – etwa durch geringe Bildung, Weiterbildung, Arbeitsmarktpolitik - ein aktivierendes Sozialsystem den Aufstieg ermöglicht.

„Es gilt, nicht bloß die Symptome zu beseitigen, sondern ihre Wurzeln auszureißen“, konstatiert der Ökonom und Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts. „Diese Wurzeln sind Ungleichheiten in der Bildung, Bildungsvererbung aber auch Genderunterschiede während der Erwerbsarbeit. Mit all diesen Fragen beschäftigt sich das Symposium“, so Aiginger abschließend.

 

Univ. Prof. Dr. Markus Jäntti: Massiver Elterneinfluss auf die Arbeitsmarktchancen der Kinder

Auf der Grundlage seiner langjährigen Forschungstätigkeit konstatiert der Wirtschaftswissenschafter

Univ. Prof. Markus Jäntti, Leiter des „Institute for Social Research“ (SOFI) an der Universität Stockholm sowie Forschungsdirektor am „Luxembourg Income Study Data Center“ (LIS) den vielschichtigen Einfluss des Elternhaushalts auf die Arbeitsmarktchancen der Kinder. Insgesamt hängt die Chancengleichheit in einer Gesellschaft von Faktoren ab, die Einzelpersonen gar nicht beeinflussen können. Einer der wichtigsten Faktoren ist die finanzielle Lage oder insgesamt die Einkommenssituation im Elternhaushalt. Daneben bestimmen aber auch Institutionen und die Umwelt den Arbeitsmarktstatus der Nachfolgegeneration[1]). Beides sind Bereiche, die sich der individuellen Gestaltung entziehen. Univ. Prof. Jäntti bestätigt in seinen Arbeiten die Befunde zum positiven Zusammenhang zwischen der Einkommenslage und dem Bildungsniveau im Elternhaushalt auf die Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen der Kinder. Allerdings wurde hier bisher nur an der Oberfläche geforscht.  Die eigentliche Ursachenforschung zum Thema „Trend der steigenden Ungleichheit“ stecke noch in den Kinderschuhen, betont der Wirtschaftswissenschafter.


Österreich: Bildung der Eltern bestimmt Bildungsgrad der Kinder

Univ. Prof. Dr. Wilfried Altzinger, Wirtschaftswissenschafter an der Wirtschaftsuniversität Wien erhob für Österreich einen engen Zusammenhang zwischen Bildung der Eltern und Bildungsabschlüsse ihrer Kinder: Während die Kinder von Eltern mit Pflichtschule als höchst abgeschlossener Schulbildung nur in 6 Prozent aller Fälle einen akademischen Abschluss erreichen, sind es bei Kinder von Eltern mit Universitätsabschluss 54 Prozent aller Fälle. Die Bildungsunterschiede sind immer auch mit Einkommensunterschieden verbunden: Männer der Altersgruppe 45 bis 59 Jahre aus akademischen Haushalten erreichten im Befragungsjahr 2011 ein um 55 Prozent  höheres Einkommen als das Durchschnittseinkommen. Männer aus Haushalten mit Pflichtschulabschlusseltern haben einen Einkommensnachteil in der Höhe von rund 15.000 € Nettojahreseinkommen.

 

Deutschland: Wachsende Einkommensunterschiede eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt

Nur die Berücksichtigung der Entwicklungen sowohl von Reichtum als auch von Armut kann die Ursachen der steigenden Ungleichheit erklären, so Dr. Dorothee Spannagel vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.

Erwerbsarbeit wird in Deutschland als Grundlage für Reichtum tendenziell unwichtiger, Reiche beziehen einen steigenden Anteil ihrer Ressourcen aus Vermögenseinkommen. Die Einkommensmobilität in Deutschland zeigt, dass 57 Prozent der sehr reichen Haushalte im Jahr 2006 [2] - das sind insgesamt 2,1 Prozent aller Haushalte - auch 2011 sehr reich waren. Auf der anderen Seite waren in der Gruppe der Haushalte mit Einkommen bis zum Median im Jahr 2006 – das sind insgesamt knapp 50 Prozent aller deutschen Haushalte - auch im Jahr 2011 zu 75% in der gleichen Einkommensklasse.

 

Die Einkommensmobilität der sehr Reichen in Deutschland hat sich in den Jahren 1991 bis 1995 sowie in den Jahren 2006 bis 2011 verringert. Die Reichen und sehr Reichen konnten trotz Wirtschafts- und Finanzkrise ihre gehobene Lage sichern. Sie steigen in der letztgenannten Periode seltener in die Mitte der Verteilung ab. Die Reichtumsgrenze ist nach unten hin undurchlässiger geworden. Die wachsende Polarisierung der Lebenslagen hat weitreichende Folgen: sie dämpft das Wirtschaftswachstum und gefährdet den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft.

 

Die Sozialversicherung garantiert unabhängig von Alter, Einkommen, sozialer Herkunft und Bildung hochwertige Gesundheitsversorgung und eine sichere Pensionsvorsorge. Aktuell sind rund 8,4 Millionen Menschen anspruchsberechtigt (Versicherte und mitversicherte Angehörige). Der Behandlungsanspruch aus der Krankenversicherung wird beim Arzt  durch das e-card-System angezeigt: Die e-card als Schlüsselkarte enthält keine medizinischen Daten, ermöglicht dem Arzt aber die Überprüfung des Versicherungsstatus eines Patienten bzw. einer Patientin und die Nutzung weiterer Services. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist das organisatorische Dach über der solidarischen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung Österreichs.



Zuletzt aktualisiert am 14. November 2020