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Plattformbasierte Arbeit: Funktionieren alte Spielregeln für die digitalisierte Arbeitswelt?

© APA-Fotoservice/Hörmandinger

20. Oktober 2017


Auf der 11. Sozialstaatsenquete beschäftigten sich ExpertInnen aus dem In- und Ausland mit den Chancen, Risiken und Herausforderungen der digitalisierten Arbeitsmärkte.

 

Digitale Plattformen wie Uber, Airbnb und Clickworker werden nicht nur bei den KundInnen immer beliebter – sie führen auch zu großen Umbrüchen auf dem Arbeitsmarkt: Die Grenzen zwischen unselbständiger und selbständiger Beschäftigung, zwischen betrieblichem und individuellem Risiko verschwimmen. Wichtige Themen wie das Wettbewerbsrecht, die ArbeitnehmerInnenrechte sowie die Finanzierung des Sozialstaates werden dadurch auf die Probe gestellt. Unter dem Titel „Funktionieren alte Spielregeln für die digitalisierte Arbeitswelt?“ beschäftigte sich die 11. Sozialstaatsenquete des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für Österreich und Europa.

 

Sozialminister Alois Stöger nutzte die Sozialstaatsenquete, um auf neue Herausforderungen der sich ändernden Arbeitswelt einzugehen: „In unserer globalisierten und digitalisierten Gesellschaft müssen wir die Fragen der sozialen Sicherheit immer neu beantworten. Nur so können wir sicherstellen, dass unser soziales Netz wirklich für alle Menschen da ist.“ Dabei verwies der Sozialminister insbesondere auf neue Arbeitsformen wie Crowdworking, die neue rechtliche Definitionen erforderlich machen. „Unser Ziel muss es sein, neue Formen der Arbeit zu ermöglichen, gleichzeitig aber für eine faire Entlohnung und die soziale Absicherung zu sorgen“, so Stöger, der sich unter anderem für die Gewährleistung eines Mindestentgelts und höhere Informationspflichten der Plattformen gegenüber den CrowdworkerInnen aussprach.

 

Das Thema Digitalisierung und die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsmärkte wird auch ein Schwerpunkt der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 sein. „Gerade deswegen freut es mich besonders, dass wir als Hauptverband bereits ein gutes halbes Jahr zuvor mit renommierten nationalen und internationalen ExpertInnen die Auswirkungen plattformbasierter Arbeit in Österreich und Europa näher beleuchten“, betonte Dr. Alexander Biach, Vorstandsvorsitzender des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. „Neue digitale Geschäftsmodelle haben aber nicht nur ein großes Potenzial, sie werfen auch eine Reihe von Fragen im Bereich des Wettbewerbsrechts und des Arbeits- und Sozialrechts auf. Eine zeitgerechte Befassung mit dem Thema in einem internationalen Kontext ist daher wesentlich.“

 

„Der Anteil der Erwerbstätigen, die in Österreich ihr Einkommen durch plattformbasierte Tätigkeiten erzielen, wächst kontinuierlich. Die Digitalisierung der Arbeitsmärkte birgt großes Potenzial – sie trägt zum Wirtschaftswachstum bei und es entstehen teils neuartige Berufsbilder und Jobchancen. Zugleich müssen wir darauf schauen, welche rechtlichen und sozialen Folgen die neuen Arbeitswelten für die Betroffenen haben und die richtigen Schlüsse daraus ziehen“, sagte WIFO-Leiter Christoph Badelt. „Daher freue ich mich, dass sich die diesjährige Sozialstaatsenquete eingehend mit diesem Zukunftsthema befasst und die bestehenden und kommenden Chancen und Herausforderungen beleuchtet.“

 

Die Entstehung der „Gig Economy“ – also jener Geschäftsmodelle, in denen Arbeitskräfte nicht mehr angestellt, sondern nur nach „Gig“ (Auftrag) bezahlt werden – stelle den Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts vor große Herausforderungen, sagte auch Ursula Huws, Ökonomin an der Universität Hertfordshire. Das bestehende System brauche eine „radikale Generalüberholung, um für die unbeständigen Arbeitsmärkte einer globalisierten, digitalisierten Wirtschaft fit zu werden“. Die üblichen Praktiken der Online-Plattformen würden sich zunehmend auch auf andere Sektoren ausbreiten und so zu „allgegenwärtigen Merkmalen“ des Arbeitens im 21. Jahrhundert. Die Diskrepanz zwischen diesen neuen Formen der Arbeit und den rechtlichen Rahmenbedingungen habe dazu geführt, dass die Digitalisierung „zwar für einige Arbeitskräfte neue Chancen eröffnet, so manch andere aber schutzlos und ohne soziale Absicherung zurück lässt.“ Die Politik, so Huws, müsse rasch handeln, um eine „Abwärtsspirale“ zu verhindern.

 

Es gebe eine Vielfalt an Mechanismen, durch die die Digitalisierung die Ungleichheit in der Gesellschaft verstärke, sagte Maximilian Kasy, Ökonom an der Harvard University in Boston. Dementsprechend brauche es „eine ebensolche Vielfalt an politischen Antworten, wenn wir einen massiven Anstieg der Ungleichheit verhindern wollen“. Betroffen seien etwa die Bildungspolitik, die Wettbewerbspolitik - und ganz zentral das Arbeitsrecht: „Die soziale Absicherung muss von der Lohnarbeit entkoppelt werden“, sagte Kasy. Auch die Gewerkschaften seien gefordert: Es brauche, so Kasy, eine „Vertretung jenseits der traditionellen Hochburgen“.

 

Vor große Herausforderungen stellen digitale Plattformen wie Uber und Airbnb auch die öffentliche Verwaltung, speziell in größeren Städten: „Wien steht innovativen Ideen positiv gegenüber – wenn sie den Menschen nutzen“, sagte Peter Wieser von der Magistratsabteilung 23 für Wirtschaft, Arbeit und Statistik. „Wir möchten, dass mutige UnternehmerInnen agieren können. Die Grenzen liegen jedoch da, wo Interessen der BürgerInnen, der KonsumentInnen und des fairen Wettbewerbs betroffen sind.“ Die Stadt Wien gehe davon aus, dass vielen privaten „Share Economy“-AnbieterInnen im Beherbergungsbereich die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichend bekannt seien. Man setze daher auf Aufklärung. Im kommerziellen Bereich seien aber auch rechtliche Konsequenzen notwendig, etwa wenn Plattformbetreiber die nötigen Daten nicht liefern, damit die Gesetze vollzogen werden können. Derzeit haben laut Stadt Wien bereits fünf Plattformen Daten geliefert, mit drei Plattformen führt man Gespräche, gegen acht Plattformen wurden Strafverfahren eingeleitet.

 

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist das organisatorische Dach über der solidarischen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung Österreichs. Die Sozialversicherung garantiert unabhängig von Alter, Einkommen, sozialer Herkunft und Bildung hochwertige Gesundheitsversorgung und eine sichere Pensionsvorsorge. Aktuell sind rund 8,5 Millionen Menschen anspruchsberechtigt (Versicherte und mitversicherte Angehörige).


Zuletzt aktualisiert am 14. November 2020