Eine Mundspülung mit Öl soll Karies-Bakterien abtöten und so die Zahngesundheit fördern. Wissenschaftliche Belege für das „Ölziehen“ gibt es allerdings nicht, berichtet medizin-transparent.at, ein Projekt von Cochrane Österreich an der Donau-Universität Krems. Bisher durchgeführte Studien wurden nur mangelhaft durchgeführt und sind nicht aussagekräftig. Somit können sie diese Frage nicht beantworten.
Morgens ein Esslöffel Pflanzenöl, für zehn bis zwanzig Minuten im Mund hin und her bewegt, soll die Gesundheit fördern und Zähne und Zahnfleisch stärken. Die Methode nennt sich Ölziehen oder Ölkauen und wird bereits in alten ayurvedischen Texten erwähnt. Und sie ist auch heute noch beliebt – eine Google-Suche liefert hundertausende Treffer, so medizin-transparent.at.
Der traditionellen indischen Heilkunde zufolge soll Ölziehen mit Sesam-, Oliven-, Kokos- oder Sonnenblumenöl sowohl schädliche Bakterien wie auch Schadstoffe anziehen und lösen. Danach wird das Öl einfach ausgespuckt. Diese Art der Mundspülung soll nicht nur für gesunde Zähne sorgen, sondern sogar Abhilfe bei Kopfschmerzen, Hautproblemen, Rheuma, Arthrose sowie eine Besserung von Blasen- und Nierenleiden bewirken.
Irreführende Studien zu Ölziehen
Die meisten dieser Behauptungen wurden nie wissenschaftlich untersucht. Lediglich zur Wirkung auf Zähne und Zahnfleisch gibt es einige Studien. Diese haben jedoch zahlreiche Mängel, ihre Ergebnisse sind daher nicht vertrauenswürdig. Einige dieser Studien scheinen auf den ersten Blick nahezulegen, dass Ölziehen Zahnfleischentzündungen ähnlich gut vorbeugen kann wie eine antibakterielle Mundspülung. Die Untersuchungen sind jedoch von zu kurzer Dauer, sie haben zu viele Mängel und die Ergebnisse sind zu ungenau, um das belegen zu können.
Manche Forschungsarbeiten haben untersucht, ob Ölziehen die Bildung von Zahnbelag (Plaque) verringern oder die Anzahl an Kariesbakterien im Mund reduziert. Das sagt jedoch nichts darüber aus, ob sich dadurch auch langfristig Zahnfleischentzündungen oder Karies verhindern lassen. Abgesehen davon sind diese Untersuchungen ebenfalls mangelhaft und daher nicht aussagekräftig.
Ob Ölziehen vor Karies schützt, ist bisher gar nicht untersucht. Die Wirkung von Ölziehen auf die Zahngesundheit bleibt somit unklar – zumindest solange es keine aussagekräftigen Studien gibt, die nach strengen, wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt worden sind.
Entgiften durch Ölziehen nicht plausibel
Immer wieder kann man lesen, dass beim Ölziehen Giftstoffe vom Öl aufgenommen und damit dem Körper entzogen werden sollen. Weil sich beim Spülen angeblich viele Schadstoffe im Öl anreichern, raten Anhänger der Methode, es danach keinesfalls zu schlucken, sondern auszuspucken. Durch Ölziehen sollen sich so zahlreiche Erkrankungen vorbeugen oder sogar heilen lassen.
Dass das Ölziehen Schadstoffe aus der Mundschleimhaut oder dem Zahnfleisch entfernen kann, widerspricht allerdings wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die wichtigsten Entgiftungsorgane des Körpers sind Leber, Niere und Darm – auch Haut und Lunge spielen eine wichtige Rolle.
Durch das bis zu 20-minütige Spülen im Mund wird das Öl milchig weiß. Das hat jedoch nichts mit angeblich darin gelösten Giften zu tun. Verantwortlich für die milchige Färbung sind im Speichel enthaltene Stoffe, die Fett aufspalten können.
Populär gemacht haben soll die Methode angeblich ein ukrainischer Arzt namens Fedor Karach in den 1990er Jahren. Wissenschaftliche Publikationen dieses Arztes lassen sich jedoch nirgends finden.
Ob Ölziehen bei Problemen wie Kopfschmerzen, Hautproblemen, Rheuma, Arthrose oder Blasen- und Nierenleiden helfen kann, ist wissenschaftlich nie erforscht worden. Aussagen dazu sind daher reine Mutmaßung.
In seltenen Fällen könnte die ölige Mundspülung sogar zu gesundheitlichen Problemen führen. So sind Einzelfälle bekannt, bei denen das unabsichtliche Einatmen von Öltröpfchen eine Lungenentzündung verursacht hat.
Die Studien im Detail
Ob Ölziehen die Zahngesundheit fördert, haben bisher elf randomisiert-kontrollierte Studien untersucht. Darin wurden die Teilnehmenden per Zufall (randomisiert) einer von zumindest zwei Gruppen zugeteilt. Die Versuchsgruppe führte das Ölziehen durch, während die jeweilige Kontrollgruppe zum Vergleich eine andere Mundhygiene-Behandlung anwendete.
Die Studiendauer war mit zehn bis maximal 45 Tagen jedoch sehr kurz. Ob sich langsam entwickelnde Zahnschäden wie Karies durch Ölziehen verhindern lassen, lässt sich in einem so kurzen Zeitraum nicht erforschen.
Zahnfleischentzündung
Ob die ölige Mundspülung davor schützt, eine Zahnfleischentzündung zu bekommen, haben vier Studien untersucht. Darin wurde Ölziehen mit einer antibakteriellen Mundspülung verglichen, die Chlorhexidin enthält. Eine der Studien verglich Ölziehen zusätzlich auch mit einer probiotischen Spülung. Nach 5 bis 30 Tagen schien die Zahnfleischgesundheit bei allen Teilnehmenden ähnlich zu sein – egal ob sie Ölziehen gemacht hatten oder mit antibakterieller beziehungsweise probiotischer Lösung gespült hatten.
Das belegt jedoch nicht, dass Ölziehen einer Zahnfleischentzündung gleich gut vorbeugt wie das antibakterielle Chlorhexidin.
Dazu ist der Untersuchungszeitraum deutlich zu kurz. Außerdem ist die Schwankungsbreite der Ergebnisdaten sehr hoch, weil pro Versuchsbedingung nur jeweils 10 bis 30 Personen teilgenommen haben. In der längsten Studie mit einem Untersuchungszeitraum von 30 Tagen haben sich die beiden Gruppen zudem bereits vor Studienbeginn hinsichtlich ihrer Zahnfleischgesundheit unterschieden. Somit ist der Vergleich der beiden Behandlungen unfair. Auch sonst sind die Studien zu mangelhaft durchgeführt, um aussagekräftig zu sein, so das Projekt von Cochrane Österreich.
Plaque
Insgesamt sechs Studien – darunter auch die oben genannten – haben untersucht, wie sich Ölziehen auf die Bildung von Zahnbelag (Plaque) auswirkt. Das sagt allerdings nichts über die Gesundheit von Zähnen und Zahnfleisch aus, daher erachten die Wissenschaftler von medizin-transparent die Ergebnisse als wenig relevant.
Verglichen wurde das Ölziehen mit Chlorhexidin-Spülung, Wasser oder einer probiotischen Mundspülung. Wie die vier zuvor beschriebenen Studien sind auch die zwei weiteren zu ungenau durchgeführt, um dies zu klären.
Eine weitere Untersuchung vergleicht die Anti-Plaque-Wirkung von Ölziehen mit der von gewöhnlicher Mundhygiene. Die Ergebnisse dieses Vergleichs erwähnt die Studie jedoch nicht.
Kariesbakterien
Die restlichen Arbeiten haben erforscht, inwieweit sich Ölziehen auf die Anzahl an Kariesbakterien mit dem Namen Streptococcus Mutans auswirkt. Abgesehen von der mangelhaften Durchführung der Studien kann sich die Anzahl dieser Bakterien im Mund innerhalb von Stunden stark ändern – je nachdem, ob man gerade etwas gegessen oder die Zähne geputzt hat. Die Anzahl der Bakterien im Speichel oder auf den Zähnen scheint daher wenig über die Zahngesundheit aussagen zu können.
Die eigentliche Frage „Kann Ölziehen die Zahngesundheit langfristig besser fördern als das Spülen mit einer Spüllösung ohne Wirkstoff?“ bleibt also nach wie vor unbeantwortet.
Mag. Christian Boukal / medizin-transparent.at
Februar 2020
Bild: shutterstock