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Mann im Rollstuhl

Querschnittslähmung: Lokalisation und Ausmaß entscheidend

Eine Querschnittslähmung ist die Folge einer Schädigung des Rückenmarks. Entscheidend für die Schwere der Auswirkungen sind zwei Faktoren: Schwere und Lokalisation der Schädigung. Querschnittslähmung bedeutet nicht nur, dass Betroffene ihre Beine nicht mehr bewegen können und oft auf den Rollstuhl angewiesen sind, sondern sie bringt weitere körperliche Beeinträchtigungen mit sich. 

Man kann sich das Rückenmark als ein Kabel vorstellen, das vom Gehirn in den Körper hinein verläuft. Durch dieses Kabel werden Unmengen an Informationen zwischen Gehirn und Körper hin und her geschickt. „Das Rückenmark hat eine sehr hohe Dichte. Ein Schaden an diesem Strang ist immer eine schlimme Sache. Schon eine Quetschung von nur wenigen Millimetern in diesem verdichteten Bereich kann dramatische Folgen haben“, sagt Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber, Vorstand der Universitätsklinik für Neurochirurgie, Neuromed Campus Linz. 

Formen der Schädigung 

Man unterscheidet die vollständige von der teilweisen (partiellen) Schädigung des Rückenmarkquerschnitts. Fallen alle Funktionen unterhalb der Verletzungsstelle aus, nennt man dies eine vollständige Querschnittslähmung. Dies ist der Fall, wenn der Wirbelkanal und das darin befindliche Rückenmark komplett durchtrennt werden. Ursächlich dafür kann ein Trauma (Unfall, Verletzung) sein oder eine schwere Erkrankung. Von einer partiellen (inkompletten) Querschnittslähmung spricht man, wenn das Rückenmark nur teilweise durchtrennt oder gequetscht wurde.

Eine vollständige Schädigung bewirkt, dass die Übertragung der elektrischen Impulse durch die Nerven von der geschädigten Stelle abwärts nicht mehr funktioniert. Da die Nervenbahnen und damit die Reizleitung zwischen der Steuerzentrale im Gehirn und den angesteuerten Organen, Gliedmaßen und Muskeln unterbrochen sind, kommt es zu Lähmungen und einschneidenden Funktionsausfällen, deren Ausmaß auch von der Höhe der Läsion abhängig ist. 

Symptome 

Lähmungen und Bewegungsunfähigkeit sind die nach außen hin sichtbaren Auswirkungen. Viele Betroffene sind nun auf den Rollstuhl angewiesen. Zusätzlich kommt es zu vielen Funktionsausfällen, da sich im Rückenmark auch Nerven befinden, die für die Steuerung von Organen verantwortlich sind. Je nach Ort und Ausmaß der Verletzung kann es in folgenden Bereichen zu Ausfällen und Beschwerden kommen:

  • Magen-Darm-Trakt: Probleme mit Verdauung und Stuhlgang
  • Regulation von Herzfrequenz (führt zu Leistungsverminderung), Blutdruck und Körpertemperatur
  • Veränderungen der Muskelspannung und Reflexe
  • Störung oder Ausfall von Blasen- und Sexualfunktion
  • Anfälligkeit für Infektionen (vor allem in Blase und Lunge), Druckgeschwüre und Osteoporose.

Dem vegetativen (autonomen) Nervensystem ist es zu verdanken, dass trotz Schädigung des Rückenmarks bestimmte Ausfälle kompensiert werden können. So finden sich im Darm bzw. Abdomen zahlreiche als Plexus bezeichnete Geflechte des autonomen Nervensystems, welche die Versorgung dieser Bereiche übernehmen können. 

Komplette Trennung ist endgültig 

Ein vollständig durchtrenntes Rückenmark lässt sich nicht mehr zusammenfügen. Wenn es zur Gänze oder zum größten Teil durchtrennt oder gequetscht wurde, gibt es keine Möglichkeit der Reparatur der geschädigten Nervenzellen. Trotz intensiver Forschungsbemühungen konnte dieses Hauptproblem der Querschnittslähmung bisher nicht gelöst werden. „Konkret liegt das Problem – stark vereinfacht gesagt – darin, dass sich an den Enden der durchtrennten Stränge Narbengewebe bildet, und zwar schneller, als die zerrissenen Nervenfasern wieder zusammengefügt werden könnten“, erklärt Gruber. 

Keine Wunder 

Medienberichte, wonach es manche Menschen nach einem Unfall durch besonderen Trainingsfleiß oder durch ein „Wunder“ aus dem Rollstuhl wieder auf die eigenen Beine geschafft haben, ändern an dieser Tatsache leider nichts. „Diese Berichte können sich nur auf Menschen beziehen, deren Rückenmark nicht völlig durchtrennt wurde, und nur leichtere Beschädigungen aufweist. Diese Menschen hatten einfach Glück im Unglück, weil die Rückenmarksbeschädigung eben nicht drastisch gewesen sein kann. Durch Training und Therapie kann man verschiedene körperliche Funktionen zwar wieder in Gang bringen, leider aber nicht ein zerstörtes Rückenmark wieder zusammenfügen“, sagt der Neurochirurg. 

Partielle Trennung  

Bei einer inkompletten Querschnittslähmung sind die Auswirkungen weniger drastisch, vor allem, wenn sie rasch operiert werden. Es kommt vor allem zu Funktionsstörungen, die Gehfähigkeit wird selten zur Gänze verloren. 

Ort der Schädigung 

Je höher – also näher beim Gehirn – die Verletzungsstelle an der Wirbelsäule liegt, desto schlimmer sind die Folgen. Eine Verletzung des Marks in Höhe der Brust oder Lendenwirbelsäule führt zu einer Lähmung oder Funktionsstörung der Beine. Ist die Halswirbelsäule betroffen, sind auch Arme und Hände gelähmt. Liegt die Verletzung im obersten Teil der Halswirbelsäule, kann auch die Atmung eingeschränkt sein. 

Ursachen 

Eine Querschnittslähmung wird in den meisten Fällen durch einen Unfall (Verkehrsunfall, Sturz oder Sport) verursacht, wobei es zu einer akuten Schädigung des Rückenmarks durch eine Wirbelsäulenverletzung kommt. Bei solchen traumatischen Vorkommnissen tritt die Lähmung schlagartig auf.

Aber auch Krankheiten des Rückenmarks oder der umgebenden Strukturen können zu einer Lähmung führen, wobei ein schleichender Verlauf typisch ist. Die häufigsten Ursachen dafür sind:

  • Gefäßerkrankungen und Durchblutungsstörungen
  • Tumoren
  • inneren Blutungen, Rückenmarksinfarkte
  • Entzündungen im Bereich des Rückenmarkes, der Bandscheiben oder der Wirbelkörper
  • Skelettdegeneration
  • bestimmte Infektionen
  • Multiple Sklerose, Osteoporose, Kinderlähmung.

Querschnittslähmungen können in seltenen Fällen angeboren sein, diese bestehen also bereits zum Zeitpunkt der Geburt.  

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen 

Im Bereich der Halswirbelsäule sind verschiedene Verläufe möglich: Bei Gewalteinwirkung (Stürzen, Schlägen) kann es zu schlagartigen Lähmungen kommen, aber auch ein schleichender Prozess ist möglich, wenn bei degenerativen Veränderungen das Rückenmark mehr und mehr bedrängt und eingeengt wird. Mit zunehmendem Alter wird der knöcherne Kanal, der das Rückenmark umfasst, enger und lässt damit dem Rückenmark immer weniger Raum. Es kann dadurch über Monate und Jahre hinweg ständig zu kleinen Traumata (Mikrotraumata) kommen, die letztlich in eine (inkomplette) Querschnittslähmung münden können. Frühe Warnhinweise dieser Entwicklung können Steifigkeit und Unsicherheit beim Gehen, Schmerzen und Gefühlsstörungen in den Beinen sein, erst später entwickeln sich (falls man nicht operiert) nach und nach Lähmungserscheinungen. 

Therapie 

Bestätigt sich der Verdacht auf Querschnittslähmung, erfolgt in vielen Fällen ein operativer Eingriff. Ziel ist es, das eingeklemmte Rückenmark zu entlasten und die Wirbelsäule in einer optimalen Stellung zu fixieren. Die anschließende Behandlung soll die Patienten stabilisieren, Komplikationen vermeiden und Schmerzen lindern. Ziel ist es vor allem auch, möglichst viele Körperfunktionen zu erhalten und eine höchstmögliche Mobilität zu erreichen. Oft ist auch eine psychologische Unterstützung notwendig. „Den akuten Maßnahmen folgt eine intensive Rehabilitationstherapie. Ziel ist die größtmögliche Wiedergewinnung von Körperfunktionen, Selbstständigkeit und Lebensqualität der Patienten“, sagt Gruber.

 

Dr. Thomas Hartl

März 2020


Bild: shutterstock


Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020