Gelbe Haut und gelbe Augen treten bei mehr als der Hälfte aller Neugeborenen mehr oder weniger stark auf. Es handelt sich dabei um die sogenannte Neugeborenengelbsucht. Diese ist in den allermeisten Fällen harmlos und vorübergehend. Allerdings sollte sie ärztlich kontrolliert werden, damit man die seltenen gefährlichen Fälle nicht übersieht.
Die sogenannte „Neugeborenengelbsucht“ (Hyperbilirubinämie und Icterus neonatorum) zeigt sich durch eine Gelbfärbung der Haut und der Bindehaut der Augen. Die Verfärbung ist in der Regel harmlos und geht auch von alleine wieder zurück. Es handelt sich hierbei um keine echte Gelbsucht, es liegt also keine Hepatitisinfektion vor.
Natürlicher Vorgang
Verursacht wird die Gelbfärbung durch einen erhöhten Wert von Bilirubin, einem gelbbraunen Gallenfarbstoff im Blut des Babys. Bilirubin entsteht beim Abbau des roten Blutfarbstoffes (Hämoglobin). Zum Zeitpunkt der Geburt hat ein Neugeborenes besonders viele rote Blutkörperchen mit fetalem rotem Blutfarbstoff Hämoglobin, die es nach der Geburt nicht mehr alle benötigt. Daher werden nun diese roten Blutkörperchen vermehrt abgebaut. Der rote Blutfarbstoff Hämoglobin wird dabei zu Bilirubin umgewandelt, das normalerweise in der Leber abgebaut wird. Da die Leber des Neugeborenen noch unreif und nicht in der Lage ist, eine so große Menge an Bilirubin in kurzer Zeit zu verarbeiten, lagert sich der Farbstoff vorübergehend in der Haut und in den Augen ab. Da das Neugeborene nun atmen kann, bildet es ab der Geburt rote Blutkörperchen mit einem anderen roten Blutfarbstoff (adultes Hämoglobin).
Gelbfärbung von kurzer Dauer
Bei der Hyperbilirubinämie kommt es zu einer Erhöhung des Bilirubins im Serum, welches nach der ersten Lebenswoche wieder absinkt. Der Gipfel der Bilirubin-Belastung tritt vom dritten bis zum siebten Lebenstag auf. Nach zwei Wochen ist das überschüssige Bilirubin in der Regel abgebaut. Ein paar Tage länger kann es dauern, wenn das Baby gestillt wird, da Muttermilch den Abbau des Bilirubins verzögert. Nach spätestens drei Wochen sind die Symptome bei einer normalen Neugeborenengelbsucht allerdings auch bei gestillten Babys völlig verschwunden.
Ein gewisses Maß an Gelbfärbung tritt bei fast allen Neugeborenen auf. „Je nach der Höhe des Bilirubins fällt die Färbung stärker oder schwächer aus. Bei 60 bis 70 Prozent der Neugeborenen zeigt sich die hohe Belastung mit Bilirubin durch die Gelbfärbung deutlich sichtbar“, sagt Prim. Dr. Gabriele Wiesinger-Eidenberger, Vorstand der Klinik für Neonatologie, Kepler Universitätsklinikum Med Campus IV.
Symptome erkennen
Zusätzlich zur Gelbfärbung trinken Neugeborene oft schlecht und sind auffallend müde und schläfrig. Ist die Gelbfärbung nach 14 Tagen (drei Wochen bei gestillten Babys) noch nicht verschwunden und das Bilirubin immer noch erhöht, sollte man abklären lassen, ob vielleicht eine andere Ursache dafür vorliegt.
Kontrolle
Bei einer stationären Geburt in einem Krankenhaus wird eine Hyperbilirubinämie meist schnell entdeckt. Da die Mutter mit dem Kind das Krankenhaus meist schon 48 Stunden nach der Entbindung wieder verlässt, muss die Familie selbst darauf achten, ob die Symptome sich rasch wieder legen und gegebenenfalls das Bilirubin kontrollieren lassen.
Bei einer ambulanten Geburt oder bei einer Hausgeburt obliegt es den Eltern und der Hebamme, zu beobachten und abzuklären, ob eine Hyperbilirubinämie vorliegt und diese abklären zu lassen. „Zeigt das Baby eine gelbe Hautfarbe und ist es zudem müde und trinkt schlecht, sollte man eine Hebamme oder einen Arzt kontaktieren und das Neugeborene untersuchen lassen“, sagt Wiesinger-Eidenberger.
Diagnose
Zusätzlich zur Blickdiagnose wird die Bilirubinkonzentration gemessen. Zur Verfügung steht ein Hauttest, der auf der Stirn des Babys vorgenommen wird; er liefert einen Richtwert. Dieser Test kann bei Bedarf durch einen Bluttest (vorgenommen etwa durch einen Fersenstich) präzisiert werden. Gemessen wird der Gesamtwert des Bilirubins.
Verschwinden die Symptome nicht binnen 14 Tagen, werden auch die Teilwerte (direktes und indirektes Bilirubin) gemessen, da diese Werte Aussagen zu anderen möglichen Diagnosen liefern bzw. diese ausschließen können.
Die Diagnose dient auch dazu, mögliche pathologische Ursachen eines erhöhten Bilirubins auszuschließen, wie etwa Stoffwechselerkrankungen, hämolytische Erkrankungen, metabolische und endokrine Störungen, Infektionskrankheiten und Erkrankungen der Gallenwege. Neugeborene mit einem Risiko für eine (seltene) schwere Hyperbilirubinämie sollen identifiziert werden.
Mögliche Komplikation
Neugeborene mit Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind haben ein erhöhtes Risiko für schwerere Neugborenengelbsucht. Normalerweise ist ein erhöhter Bilirubinwert aber harmlos. Zur Gefahr wird er nur dann, wenn er sehr rasch und sehr stark ansteigt (Fachausdruck: Kernikterus). Die sogenannte Bhutani-Kurve bestimmt, welche Höhe in welchem Alter (nach Stunden gerechnet) noch tolerierbar ist. Übersteigt der Wert in den ersten Lebenstagen eine bestimmte Grenze, kann das Bilirubin die Blut-Hirn-Schranke überwinden (diese ist in dieser Zeit noch undicht) und ins Gehirn gelangen und Schäden im zentralen Nervensystem anrichten. „Die ersten zwei bis drei Lebenstage bedeuten diesbezüglich die höchste Gefahr. Solange sich das Kind noch im Krankenhaus befindet, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass das ein solcher Anstieg übersehen wird“, sagt die leitende Kinderärztin.
Lichttherapie
Die Neugeborenengelbsucht ist bis zu einem bestimmten Grad völlig ungefährlich und die meisten Neugeborenen bedürfen keiner spezifischen Behandlung. Übersteigt das Bilirubin aber den individuellen Grenzwert des Kindes, sollte eine Therapie durchgeführt werden.
Diese besteht in der Regel in einer Lichttherapie (Fototherapie). Blaues Licht bewirkt, dass Bilirubin in der Haut in eine wasserlösliche Substanz umgewandelt, mobilisiert und abtransportiert wird.
Die Fototherapie ist relativ einfach durchzuführen, risikoarm und erwiesen wirksam. Während der Beleuchtung werden die Augen des Babys bedeckt, um die Netzhaut vor Schädigung zu schützen. „Die Therapie dauert drei Stunden, dann erfolgt eine Pause von ebenfalls drei Stunden“, erklärt Wiesinger-Eidenberger. Wichtig ist, dass das Baby bei der Lichttherapie viel Flüssigkeit zu sich nimmt, damit das Bilirubin ausgeschwemmt werden kann. Zudem ist es unter der Lampe warm und der Flüssigkeitsbedarf erhöht.
Weitere Maßnahmen
Neben der Lichttherapie ist auch ein gutes Stillmanagement wichtig und hilfreich, das Baby soll also häufig und ausreichend gestillt werden. Gelegentlich können Medikamente zur Induktion der Glukuronyltransferase [Hilfsenzym zur Ausscheidung von Bilirubin] nötig sein.
Steigt der Bilirubin-Spiegel in sehr hohe Bereiche, dann muss rasch therapiert werden, denn sehr hohe Konzentrationen wirken toxisch und können bleibende Schäden verursachen. Neben Lichttherapie ist in Fällen von sehr hohen Werten die Verabreichung von Immunglobulinen (Antikörper) möglich. In Extremfällen (äußerst selten) kann als letztes Mittel ein Blutaustausch nötig werden. „In den letzten Jahren war das bei uns im Krankenhaus jedoch kein einziges Mal nötig“, sagt Wiesinger-Eidenberger.
Dr. Thomas Hartl
August 2020
Bild: shutterstock