Max grinst zufrieden, alles ist gut gegangen. Er kramt in seiner Hosentasche und zieht etwas heraus. Keinen Schummelzettel, nur ein kleiner roter Holzkäfer mit schwarzen Punkten drauf. Die Mama hat dem Neunjährigen für die allererste Deutschschularbeit wieder ihren Glücksbringer eingepackt.
Solche kleine Ritualen können die Situation entspannen, wenn für Kinder und Jugendliche die Schule zum Stress wird. „Kinder sollen sich vor allem ernst genommen fühlen. Reagieren Kinder mit gereiztem Verhalten im Alltag, bitte ich Eltern das nicht gleich als Trotz einzustufen – sondern an Schulstress zu denken“, erklärt die klinische Psychologin Mag. Stephanie Kerzendorfer von der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Neuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums in Linz.
Denn Referate, Schularbeiten, Prüfungen zwischen zwei Noten – der Druck, der während des Schuljahres auf den Kindern lastet, ist phasenweise enorm und macht Angst. „Oft sind die Kinder am Limit“, sagt Mag. Tobias Scheiringer, klinischer Psychologe am Neuromed Campus in Linz. „Sind auch für das Umfeld die Noten besonders wichtig, bedeutet das noch Zusatzstress.“
Lob ist wichtig
Gerade den Eltern fällt es oft schwer, bei Schulproblemen gelassen zu reagieren und Zuversicht auszustrahlen. „Die Kinder nehmen die Reaktion der Eltern aber deutlich wahr. Kinder sind von Natur aus neugierig und wollen lernen. Zu viel Druck zerstört diese Freude. Lob und Anerkennung wichtig, auch für das Selbstvertrauen“, so Kerzendorfer. Nicht nur die Ergebnisse, sondern das Bemühen an sich soll gelobt oder belohnt werden. Ein Fünfer sei für viele Kinder oft Bestrafung genug. Misserfolg und Enttäuschung sind Erfahrungen, die Kinder härter treffen als Erwachsene, weil ihr Selbstbild noch nicht so gefestigt ist. „Ich ersuche die Eltern, eine vorwurfsvolle oder kritisierende Haltung zu vermeiden“, appelliert Scheiringer. Die Psychologen legen den Eltern Strategien und Tipps für den Umgang mit Notenstress ans Herz: Gemeinsam nach den Ursachen für die schlechten Noten suchen, Aufgaben miteinander strukturieren und die Kindern selbst ihre Stärken ausarbeiten lassen.
So sieht Stress aus
Körperliche Symptome wie Kopfweh, Bauchweh, Einschlaf- und Durchschlafstörungen deuten auf Stress hin. Bei vielen bestimmt die Schule den gesamten Tageslauf. Danach haben manche Kinder und Jugendliche keine Lust mehr, ihren Hobbys nachzugehen. Ein Abschalten ist nicht mehr möglich. „Kurze Stressphasen bis zu einer Woche sind aushaltbar. Dauert die Phase länger, sollten Eltern sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen“, so Kerzendorfer. Erste Anlaufstelle kann der Schulpsychologe oder klinische Psychologe sein.
Verweigern Kinder und Jugendliche den Schulbesuch plötzlich oder haben Angst davor, dann sei dies laut Scheiringer ein Zeichen von Überforderung und Hilflosigkeit. Er rät: Ernst nehmen, das Gespräch suchen und Hilfe annehmen. Für die Eltern bedeutet dieser Prozess manchmal Detektivarbeit: Was verursacht den Stress? Lehrer? Das soziale Umfeld? Wie stehen die Eltern selbst zu Noten? Was wünschen sie sich von ihrem Kind? Schritt für Schritt heißt es für die Eltern und Kinder, Antworten und einen gemeinsamen Ausweg aus der Stressspirale zu finden. Während manche Kinder ganz offen über diesen Stress sprechen und gemeinsam mit den Eltern Lösungen erarbeiten können, fällt bei anderen die Ursachenforschung schwer.
Langweile erlaubt
Gerade in den stressigsten Lernphasen sind Pausen und Entspannung wichtig. „Freizeit soll ein konstanter Teil im Tagesablauf sein. Was man in der Freizeit tut, soll man genießen. Es muss dabei keinen Output geben“, sagt Tobias Scheiringer. Die Freizeit soll einen Ausgleich zum Alltag bringen: Wer den ganzen Tag unterwegs ist, findet Entspannung am besten beim Nichtstun oder beim Lümmeln auf der Couch. Sitzt ein Kind den ganzen Tag in der Schule, ist Bewegung und Rausgehen eine gute Ergänzung. Wissen Kinder selbst, was ihnen guten Ausgleich bringt, raten die Psychologen den Eltern, sich nicht einzumischen und in die Freizeitgestaltung einzugreifen. Ob das Kind Gitarre spielt, im Sportverein Judo macht, seine Freunde besucht oder ein Buch liest, ist völlig egal – Hauptsache es macht Spaß und bringt Entspannung.
Übrigens: Kinder dürfen sich zwischendurch auch langweilen. Gerade wenn sich in den Ferien Schule, Kurse und sonstiges Programm plötzlich in Luft auflösen. „Oft fällt es da den Kindern und Jugendlichen schwer, die Balance zu finden. Aber Langeweile hat auch positive Folgen und kann Kreativität fördern“, meint Stephanie Kerzendorfer. Aufpassen müssen Eltern nur, dass Langeweile sich nicht in unkontrolliertem Medienkonsum niederschlägt. Als Richtwert wird empfohlen Volksschulkinder nicht mehr als eine halbe bis eine Stunde täglich vor dem Bildschirm, für Kinder ab 12 Jahren nicht mehr als zwei Stunden vor dem Bildschirm verbringen zu lassen. „Die Eltern müssen sich natürlich auch selbst bei der Nase nehmen und darauf achten, was sie vorleben“, so Kerzendorfer. Eltern sollten genau darauf schauen, dass die Inhalte – auch von Spielen – dem Alter ihrer Kinder entsprechen. Gemeinsame Aktivitäten sind vor allem für jüngere Kindern immer eine gute Alternative zum Bildschirm.
Max verbringt den Nachmittag nach der Deutschschularbeit mit seiner besten Freundin aus der Klasse. Die beiden haben allen Grund zu feiern. „Es war nicht schwer“, sind sich beide einig und trotzdem froh: Die Schularbeit ist vorbei, endlich frei. Lego spielen, Kinderdisco im Kinderzimmer und eine Serienfolge im Fernsehen mit selbstgemachtem Popcorn stehen am Programm. Das zählt jetzt.
Auszeit ist wichtig
Die Ferien nach stressigen Schulwochen sollen auch für Kinder mit schlechten Noten eine Pause bringen. „Nach Schulzeit ist Auszeit wichtig“, erläutert Tobias Scheiringer. Er empfiehlt Eltern und Kindern gemeinsam zu Ferienbeginn einen Plan zu machen. Fixpunkte: Wann wird wieder mit dem Lernen begonnen? Was ist zu erledigen? Und dann auch abzuhaken, was geschafft wurde. Scheiringer appelliert an die Eltern, die Eigenverantwortung der Kinder zu fördern. Wichtig sei aber auch, dass sich nicht nur die Kinder an diesen Plan halten, sondern auch die Eltern ihren Kindern die fixe Auszeit gönnen und nicht gleich wieder Druck aufbauen.
Mag. Ulrike Bauer
November 2021
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