Permanent müde, schlapp und abgeschlagen? Oder ständig frierend und ohne Energie? Dies sind einige der vielen Symptome einer Nebennierenschwäche. Ursächlich für dieses Problem ist anhaltender oder immer wieder kehrender Stress. Wenn der Körper den Stress nicht mehr kompensieren kann, droht eine Nebennieren-Schwäche. Mit einer Änderung des Lebensstils und der nötigen Geduld können die Nebennieren wieder regenerieren.
Obwohl die Nebennieren nicht größer als Weintrauben sind, handelt es sich um ausgesprochen wichtige Organe. Sie sitzen wie Kappen auf dem oberen Teil der Nieren, sind jedoch eigenständige Organe.
Die Nebennieren produzieren lebenswichtige Hormone. In ihrer Rinde werden Steroidhormone wie Cortisol und Aldosteron gebildet, und auch der Hormonvorläufer Dehydroepiandrosteron (DHEA) – eine Ausgangssubstanz für männliche und weibliche Sexualhormone (Testosteron und Östrogen). Im Mark der Nebennieren werden die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin gebildet.
Geringgradige Unterfunktion
Von einer Nebennierenschwäche (auch Adrenal Fatigue genannt) spricht man bei einer geringgradigen Unterfunktion der Nebennieren. Eine derartige Schwäche kennzeichnet den Zustand erschöpfter Nebennieren, woraus eine zu geringe Produktion an Hormonen resultiert.
Für jeden Prozess im Körper wird eine bestimmte Menge Energie benötigt, die von den Zellen aus der Nahrung gewonnen werden. Diese Energie wird von allen Organen (Gehirn, Verdauungsapparat etc.) für ihre Funktion benötigt. Menschen mit Nebennierenschwäche leiden an einem schlechten Energiestatus des Körpers, was viele verschiedene Beschwerden hervorrufen kann.
Vorstufe zu Morbus Addison
Die Nebennierenschwäche ist eine Vorstufe zu Morbus Addison (primäre Nebenniereninsuffizienz). Bei Morbus Addison handelt es sich um eine seltene, aber sehr schwere Erkrankung der Nebennierenrinde. Bei diesem Vollbild der Erkrankung liegt eine extreme Unterfunktion vor, es kommt zu einem absoluten Kollaps der Nebennieren. Morbus Addison wird durch einen Mangel an Cortisol und Aldosteron ausgelöst und macht sich äußerlich gut sichtbar durch eine Braunfärbung der Haut bemerkbar. Unterschreitet die Ausschüttung von Cortisol ein kritisches Minimum, so spricht man von einer Addison-Krise, die ohne Therapie tödlich enden kann.
Belastender Stress beeinflusst Hormonproduktion
Zurück zur Nebennierenschwäche: Ständiger Stress gilt als ihre Ursache. Unter Stress sind Belastungssituationen im weiten Sinn zu verstehen: Alle Situationen, die den Körper und/oder die Psyche herausfordern. Dabei wird Stress von Person zu Person verschieden empfunden und wird nicht immer als solcher wahrgenommen.
Beispiele: Dauerhafte Beziehungsprobleme, Mobbing, Verlust eines geliebten Menschen, finanzielle Schwierigkeiten, ständige Überforderung, schwere Schlafstörungen, generelle Ängstlichkeit, aber auch große Temperaturschwankungen, Kälte und radikale Ernährungsumstellungen. Auch chronische Krankheiten, chronische Entzündungen, Verletzungen, Wirbelsäulenprobleme und chronische Schmerzen stressen den Körper dauerhaft und können daher ursächlich für dieses Problem sein.
Körper im Daueralarm
Die Nebennieren passen sich an die jeweilige Alltagssituation an und setzen die benötigten Mengen an Stresshormonen frei. Belastende Situationen gehören zum Leben – aber Dauerstress kann die Nebennieren überfordern und damit den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen. Permanenter Stress versetzt den Körper in ständigen Alarm mitsamt ständiger Ausschüttung von Stresshormonen, um – gemäß der genetischen Programmierung – vor der (vermeintlichen) Gefahr davonlaufen oder sie bekämpfen zu können. Im Laufe der Zeit erschöpft sich die permanente Hormonproduktion der Drüse jedoch. Die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, aber auch von Adrenalin und Noradrenalin, beginnt zu sinken, was sich anhand vieler verschiedenen Beschwerden bemerkbar machen kann.
„Dauerstress mitsamt seiner Hormonausschüttung überlastet den Körper, denn er ist auf die Bewältigung einzelner kritischer Situationen programmiert und nicht auf Dauerbelastung. Ein Beispiel: Man geht allein durch den dunklen Wald und wird durch ein furchtbares Geräusch in Angst versetzt. Die Nebennieren schütten Adrenalin aus, die Blutgefäße verengen sich, der Puls steigt. Der Körper macht sich bereit, den Feind zu bekämpfen oder ihm zu entfliehen. So weit so gut. Doch wenn man so lebt, als sei man ständig in Gefahr, nämlich durch Dauerstress, dann werden verschiedene körperliche Systeme überlastet und erschöpfen sich“, sagt Dr. Sabine Wied-Baumgartner, Allgemeinärztin in Linz.
Mannigfaltige Symptome
Eine Nebennierenschwäche entsteht langsam und schleichend, und kann viele, teils unspezifische Symptome aufweisen, die eine Diagnose erschweren. Treten mehrere der folgend genannten Beschwerden auf, können sie Hinweise auf eine solche Erkrankung sein.
Viele Betroffene fühlen sich energielos und schlapp. Oft möchten sie schon am Vormittag eine Schlafpause einlegen. Die Müdigkeit und Antriebslosigkeit können letztendlich in eine chronische Erschöpfung (Fatigue Syndrom) münden, wobei in schweren Fällen sogar alltägliche Verrichtungen zum Kraftakt werden.
Zwei weitere, sehr häufige Symptome: Betroffene frieren permanent, sie frösteln, ziehen sich in den Augen anderer zu warm an. Eine niedrige Körpertemperatur spiegelt meist ein niedriges stoffwechselbedingtes Energieniveau wider. Patienten fühlen sich zudem ständig gestresst, haben eine geringe Stresstoleranz. Sie halten die täglichen Anforderungen immer schlechter aus, bekommen „schlechte Nerven“, sind ständig nervös, werden dünnhäutig, Sinnesreize (Geräusche etc.) überfordern sie rasch.
Weitere mögliche Anzeichen sind: Allergien, häufige Infekte, niedriger Blutdruck, niedriger Blutzucker, trockene Haut (ein Mangel an DHEA macht sich vor allem bei Frauen durch Hauttrockenheit und Abnahme der Libido bemerkbar), Haarausfall, schlechte Wundheilung, verminderte Merk- und Konzentrationsfähigkeit (aufgrund von Blutzuckerschwankungen), depressive Stimmung und Ängste, Verspannungen im Nackenbereich, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Verstopfungen, Blähungen, Reizdarm.
Frauen mit frühem Wechsel
Durch eine Unterfunktion der Nebennieren stehen zu wenig Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin zur Verfügung. „Auch DHEA ist bei Stress stark erniedrigt, das führt dazu, dass zu wenige Sexualhormone produziert werden. Bei Frauen kann der Wechsel zu früh einsetzen (ab Ende 30, Anfang 40), viele dieser Frauen leiden auch an Hashimoto (chronische Entzündung der Schilddrüse). Patienten mit einer Schilddrüsenunterfunktion leiden oft auch unter zu schwachen Nebennieren, da sich beide Organe mit ihrem Stoffwechsel gegenseitig beeinflussen“, erklärt Wied-Baumgartner.
Diagnose
Neben einem ausführlichen Gespräch (Anamnese) erfolgt eine Messung von Cortisol, Testosteron beziehungsweise Östrogen und DHEA. Die Messungen des Cortisols sollten mehrmals an einem Tag erfolgen (Cortisol-Tagesprofil).
„Ist zu wenig Cortisol vorhanden, ist das ein Alarmzeichen. Leider interpretiert man einen niedrigen Cortisol-Wert oft als positiv, doch das ist falsch. In Wahrheit sagt ein sehr niedriger Wert aus, dass die Produktion des Hormons bereits herunterreguliert ist. Die Nebennieren können also nicht mehr genug Cortisol produzieren, was der Patient dann am eigenen Körper durch die verschiedensten Beschwerden zu spüren bekommt. Wenn das Blutbild zudem zu wenig Sexualhormone anzeigt, dann ist auch das ein Signal für eine stressbedingte Nebennierenschwäche. Zusätzlich sollte man sich auch die Schilddrüse ansehen, denn Hashimoto tritt häufig bei Nebennierenschwäche auf“, sagt Wied-Baumgartner.
Neben einer schwachen Funktion der Nebennieren können bei mangelhafter Energiegewinnung im Körper auch andere Faktoren eine Rolle spielen: Schwache Funktion der Schilddrüse, chemische Belastung, Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, Viren oder Autoimmunerkrankungen.
Maßnahmen zur Erholung der Nebennieren
Durch eine Änderung des Lebensstils und einer ganzheitlichen Therapie kann man die Funktion der Nebennieren verbessern und damit die Beschwerden abfedern oder beseitigen. Eine vollständige Regeneration der Nebennieren ist möglich, es braucht jedoch Geduld und eine langfristige Stressreduktion.
Stress minimieren: In erster Linie gilt es Stress zu reduzieren und negative Emotionen zu minimieren. Man sollte alles vermeiden, was zur übermäßigen Ausschüttung von Stresshormonen führt. Alle beruflichen, familiären oder finanziellen Stressoren erkennen und wenn möglich reduzieren. Wohlbefinden sollte der persönliche Maßstab sein, denn es trägt zur Regeneration der Nebennieren bei. Wohlbefinden kann bedeuten: Ruhe, Schlaf, Freude, gesunde, ausgewogene Ernährung, ein Gefühl von (finanzieller, sozialer, körperlicher) Sicherheit und Stabilität. Hilfreich sind zudem Übungen wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung, Meditation, Yoga und leichtes Ausdauertraining.
Moderat leben: Ausreichender und erholsamer Schlaf ist wichtig. Dagegen sollte man übertriebenes körperliches Training, ausufernde Arbeit, Koffein, aber auch exzessives Feiern (Alkohol, Zigaretten, Drogen) meiden.
Ausgewogenes Essen: Eine ausgewogene Ernährung mit vielen Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen ist wichtig. „Manchen tut Intervallfasten gut, denn das beschleunigt den Stoffwechsel. Jedenfalls sollte man nicht ständig essen, also nicht ständig kleine Zwischenmahlzeiten einnehmen. Man sollte sich gesund ernähren; in der kalten Jahreszeit tun wärmende Getränke und Speisen gut, wie beispielsweise Hühnersuppe und Ingwer“, sagt Wied-Baumgartner.
Substitution: In einer Laboruntersuchung sollte man Aminosäuren, DHEA, Vitamine B1, B5, B6 und B12, Vitamin E, Beta-Carotin, Zink, Selen und Magnesium messen lassen und bei einem Mangel in Absprache mit einer Ärztin oder einem Arzt mittels Präparaten substituieren.
Dr. Thomas Hartl
Jänner 2022
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