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Die Pandemie und ihre Herausforderungen für Gehörlose

Die Pandemie und ihre Herausforderungen für Gehörlose

Als sich die COVID-19-Pandemie 2020 in Österreich ausbreitete, infizierten sich bald auch die ersten Gehörlosen in Oberösterreich mit dem SARS-CoV-2-Virus. Neben dem Fehlen fundierter Informationen, Isolation und dem Verbot von Aktivitäten war auch das gesamte Erkrankungsmanagement eine große Herausforderung für Gehörlose, vor allem der fehlende Zugang zur Hotline 1450. Die Folge waren große Unsicherheit und Angst auf der Seite der gehörlosen Patient:innen, berichtet die Gehörlosenambulanz des Konventhospitals der Barmherzigen Brüder Linz. 

Die Ambulanz hatte in dieser Zeit mit Programmen und Unterstützungsangeboten gegengesteuert und war mit etlichen Herausforderungen konfrontiert. 

Corona fordert Gehörlose auf vielen Ebenen 

Neben der bekannten, allgemeingültigen Problematik in der Gesamtbevölkerung öffneten sich den Gehörlosen rasch weitere Handlungsfelder.

Aufgrund der Kommunikationsbarriere entstand von heute auf morgen ein enormer Zeit- und Arbeitsaufwand durch Organisieren, Erklären und Betreuen. Das Verbot der Face Shields und der damit verbundenen Maskenpflicht führte zu zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Kommunikation. Für die Gebärdensprache sind neben Kopf- und Hand-, auch die Lippenbewegungen wesentlich, um verstehen und sich verständigen zu können. 

Mit Fortschreiten der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen spitzte sich die Situation in den gefährdeten Gruppen zu. Vor allem ältere Klient:innen, isolierte Gehörlose – etwa bei psychiatrischen Erkrankungen – Familien in kritischen Situationen und Eltern mit Kindern im Homeschooling standen vor sehr großen Herausforderungen. Es galt, dem kognitiven Verfall einzelner Klient:innen, der Entwicklung von Depressionen, der Verschlimmerung psychiatrischer Erkrankungen und psychosozialen Krisen in Familien entgegenzuwirken. Das Team der Gehörlosenambulanz war stark gefordert.

„Auf der anderen Seite zeigte sich aber auch deutlich, welche großen Vorteile sich durch die Anbindung an das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz ergaben, wie etwa die rasche Aufnahme, die Möglichkeit regelmäßiger Besuche sowie Betreuung und Dolmetscherkontakte. So konnten wir das Procedere der ‚kurzen Wege‘ zum Wohl unserer Klient:innen einsetzen“, so Dr. Wolfgang Schatzlmayr und Mag. (FH) Stefanie Breiteneder, die das Gesundheitszentrum für Gehörlose leiten. 

Vom Krisenmodus zur „neuen Normalität“ 

Auch im Bereich der Gehörlosenbetreuung herrschte bald die vielzitierte „neue Normalität“. Bei den sozialen Diensten bedeutete dies kontinuierliche sozialpädagogische Familienbegleitung, Sozialberatung – mit Ausnahme im ersten Lockdown – vermehrte Beratungsgespräche bei der Arbeitsassistenz und Fernunterricht. Spielgruppen und ein Erwachsenenbildungsprojekt mussten hingegen pausieren.

Der Bereich Telemedizin wurde rasch auf- und laufend ausgebaut. So kam es zu einem breiten Einsatz von Videochats. In deren Zentrum standen vor allem die Symptomabfrage, eine eigene Corona-Testing Hotline, die Unterstützung bei der Handhabung von Quarantänevorschriften, Aufklärungen rund um das CoViD-19-Erkrankungsbild sowie den Krankheitsverlauf und Therapiemöglichkeiten inklusive Medikamentenversorgung mittels Kooperation mit der Apotheke der Barmherzigen Brüder Linz. In Zahlen gefasst bedeutet dies, dass 2020 gesamt 1007 Videochats mit 227 Personen und bis Mitte Oktober vorigen Jahres 778 Chats mit 204 Personen geführt wurden. Das Fazit ist trotz relevantem Mehraufwand und technischer Hürden durchwegs positiv. 

Impfaufklärung 

Sobald klar war, dass zeitnah der Impfstoff zur Verfügung stehen würde, begann auch in diesem Bereich ein umfassendes Informations- und Maßnahmenprogramm. Ausführliche Erklärungen zur Impfung, die Organisation von individuellen Impfterminen – zunächst insbesondere für Risikopatient:innen inklusive Begleitung – sowie die Organisation von Impfstraßen standen dabei im Zentrum. Bisher konnte das Team der Gehörlosenambulanz fast 200 Impfungen organisieren und betreuen.

Eine wichtige Rolle spielten hier auch die sozialen Medien, allen voran die Facebook-Seite der Gehörlosenambulanz Linz – https://www.facebook.com/glamblinz – über die immer wieder auch zur Impfung aufgerufen wurde. In Zusammenarbeit der Gehörlosenambulanzen Wien, Linz, Salzburg und Graz entstand zudem ein umfassendes Aufklärungsvideo rund um das Coronavirus, die Wirkung der Impfung und mögliche Impfreaktionen. „Gehörlose verstehen die Bedeutung der Impfung sehr gut“, meint dazu Prim. Priv.-Doz. Dr. Johannes Fellinger, Leiter des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie. 

Das Gesundheitszentrum für Gehörlose und Menschen mit Hörbeeinträchtigung  

Das Gesundheitszentrum für Gehörlose und Menschen mit Hörbeeinträchtigung bietet Zugang zu medizinischen und sozialen Leistungen.

Pro Jahr werden rund 17.000 Patientenbehandlungen bei Gehörlosen sowie Menschen mit Hörbeeinträchtigung durchgeführt. Das Gesundheitszentrum für Gehörlose hat sich als Anlaufstelle für gehörlose Menschen mit oder ohne zusätzliche Beeinträchtigung, Taubblinde und Patienten mit angeborener oder erworbener Schwerhörigkeit oberösterreichweit etabliert.

Neben medizinischen Leistungen wird eine umfassende Unterstützung für hörbeeinträchtigte Menschen und deren Angehörige im Alltag und Beruf geboten. Das Spektrum reicht von der Frühintervention ab Säuglingsalter bis zum Kommunikationstreffpunkt für Senioren.

Schwerpunkte:

  • Medizinische Betreuung und Psychologie
  • Sozial- und Familienberatung
  • Hörfrühförderung
  • Arbeitsassistenz
  • Therapiewerkstatt
  • Seniorentherapiezentrum
  • vis.com – Schule für Sozialbetreuungsberufe
  • job.com – Kommunikations- und Bildungstraining
  • Lebenswelt

 

bblinz / Mag. Christian Boukal
Februar 2022


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Zuletzt aktualisiert am 23. Februar 2022