Wenn die Nase rinnt, die Augen jucken und der Gaumen beißt, steckt oft keine Virusinfektion dahinter, sondern eine Pollenallergie – im Volksmund auch Heuschnupfen genannt. Wer sich nicht Jahr für Jahr mit den Beschwerden der Allergie herumschlagen möchte, dem steht der Weg einer Hyposensibilisierung offen. Dabei gibt es Vor- und Nachteile.
Eine Allergie ist eine überschießende und daher fehlerhafte Abwehrreaktion des Immunsystems auf einen an sich harmlosen Umweltstoff (Allergen). Mit Nießen und den anderen Symptomen reagiert der Körper auf diese vermeintliche Bedrohung. Er produziert bestimmte Antikörper, um sich vor dem Allergen zu schützen, welches er irrtümlich als Gefahr identifiziert.
Allergien kommen und können auch gehen
Pollenallergien können sich in jedem Lebensalter bilden. Überdurchschnittlich oft treten sie zum ersten Mal bei Kindern zwischen fünf und sieben Jahren auf – oder später bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Aber selbst Senioren bleiben nicht verschont, auch wenn sich Neubildungen von Allergien im höheren Alter eher selten zeigen. Umgekehrt ist es möglich, dass sich Allergien von selbst wieder zurückentwickeln und verschwinden. Erklärt wird das mit Veränderungen im Immunsystem.
Schutz kaum möglich
Patienten mit Heuschnupfen sollten in der Zeit des Pollenfluges möglichst versuchen, dem jeweiligen Allergen auszuweichen und bestimmte Vorkehrungsmaßnahmen zu ergreifen (Pollenfilter, am Abend Haare waschen etc.), um diese nicht einzuatmen oder in die Augen zu bekommen. Doch jeder Betroffene weiß, dass man selbst bei größtmöglichen Schutzmaßnahmen den Pollen niemals ganz entkommen kann. Viele haben zumindest an mehreren Tagen im Jahr deutliche Symptome und nehmen daher Nasensprays und Antihistaminika ein, welche die Beschwerden bis zu einem Tag lang unterdrücken können.
Ursachenbekämpfung
Eine Therapie, welche die Ursachen der Allergie bekämpft, steht ebenfalls seit vielen Jahren zur Verfügung – die spezifische Immuntherapie (auch Hyposensibilisierung genannt). Mit ihr wird versucht, die jährlich wiederkehrenden Beschwerden während der Zeit des Pollenfluges zu minimieren. Ein wichtiges Ziel dieser Therapie ist es, einen sogenannten Etagenwechsel zu verhindern. Darunter versteht man die Ausweitung der Beschwerden aus dem Bereich Nasen, Rachen und Augen (obere Etage) auf die Lunge (untere Etage). Die mögliche Verlagerung auf die Bronchien soll möglichst unterbunden werden, da eine Verengung und Verkrampfung der Bronchialmuskulatur zu Asthmaanfällen und Atemnot führen kann.
Immunisierung
Wer sollte sich immunisieren lassen? Nicht sinnvoll ist eine Hyposensibilisierung bei nur kurzen oder geringen Beschwerden. Wer nur an wenigen Tagen beziehungsweise Wochen im Jahr ein wenig niesen muss, der kommt meist ohne Therapie aus und sollte besser bei Bedarf auf Antihistaminika zurückgreifen.
Empfohlen wird die spezifische Immuntherapie dagegen bei starkem Leidensdruck. Das ist oft der Fall, wenn die Beschwerden Jahr für Jahr lange Zeit und massiv auftreten und mit den Jahren zunehmen. „Auch bei Lungenbeschwerden sollte man mit einem Arzt über diese Therapie sprechen. Wenn möglich sollte man seine Lunge aber schon präventiv mit dieser Therapie schützen. Das ist aus medizinischer Sicht auch der wichtigste Grund für eine Immuntherapie: Der Schutz der Lunge und damit die Prävention von Asthma bronchiale. Es gibt gute Daten, dass eine spezifische Immuntherapie genau das bewerkstelligen kann“, sagt Prof. DDr. Wolfram Hötzenecker, Primar der Klinik für Dermatologie und Venerologie am Kepler Universitätsklinikum und Leiter des Allergie-Zentrums am Kepler Uniklinikum.
Vor- und Nachteile der Spritze
Eine Hyposensibilisierung dauert drei Jahre. Dabei bekommt der Patient je nach Allergie Injektionen mit verdünnten Pollenextrakten. Die Dosis der Allergene wird nach und nach erhöht. Die Behandlung dient dazu, das Immunsystem an das Allergen zu gewöhnen und toleranter zu machen – bis es schließlich nicht oder kaum mehr darauf reagiert.
Eine spezifische Immuntherapie kann grundsätzlich auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen. Durch Injektionen (Spritzen) oder durch Tropfen, Tabletten beziehungsweise Sprays (sublinguale Methode genannt) wobei Tropfen, Tablette und Spray unter die Zunge verabreicht werden.
Erfolgt die Therapie mittels Spritzen, stehen zwei Verfahren zur Auswahl: Ganzjährige Therapie oder eine Therapie vor und nach der Allergiezeit. In den ersten Wochen injiziert eine Ärztin oder ein Arzt das Allergen einmal wöchentlich, danach alle vier bis acht Wochen.
Tabletten, Tropfen und Sprays sind über die vollen drei Jahre täglich einzunehmen. Ein Nachteil: Sie können unter der Zunge ein unangenehmes Jucken, Brennen oder Beißen auslösen. Probleme kann es bei Personen mit Sodbrennen oder Gastritis geben, weil die Schleimhäute in der Speiseröhre und im Magen angegriffen werden können.
Kinder wählen meist die Tablettenform. Inzwischen wählt auch die Mehrheit der Erwachsenen die sublinguale Form. „Es gibt aber auch viele, die eine Spritze vorziehen. Die Entscheidung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen und der Lebenssituation. Wer keine Zeit für häufige Arztbesuche hat, wählt meist die Tablette“, sagt Primar Hötzenecker.
Mehrere Hyposensibilisierungen
Ist jemand gegen mehrere Pollenarten allergisch, kann es sein, dass er mehrere Hyposensibilisierungen benötigt, wenn er sämtliche Allergien loswerden möchte. Das ist der Fall, wenn beispielsweise jemand gegen Birke und Gräser allergisch ist. Hier benötigt man also zwei getrennte Immunsierungen. Viele Menschen sind gegen die Hasel und die Birke allergisch, hier genügt allerdings eine einzige Hyposensibilisierung.
Erfolgsrate
Die Erfolgsraten von Immuntherapien liegen bei den wichtigsten Allergenen (Birke und Gräser) bei 60 bis 80 Prozent. Erfolg bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Beschwerden deutlich reduziert und dass die zusätzlich eingesetzten Nasensprays und Antihistaminika minimiert werden können. Spritzen und sublingualer Methode wirken in etwa gleich gut.
Für eine Hyposensibilisierung stehen mehrere Präparate zur Auswahl. „Es gibt eine breite Palette an Medikamenten, wobei zu sagen ist, dass sich die Qualität einiger Präparate in den letzten Jahren weiter gesteigert hat“, sagt Primar Hötzenecker.
Erfolgs-Prognose
Da eine Hyposensibilisierung ganze drei Jahre dauert, ist es frustrierend, falls sie nicht wirkt. Um nicht erfolgsversprechende Therapien gar nicht erst zu beginnen, gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit, vorab diagnostizieren zu lassen, ob man persönlich von einer Immuntherapie voraussichtlich profitieren wird oder nicht. Mittels Hauttests (Pricktest) und Blutabnahme und einem Gespräch (Anamnese) lässt sich ein möglicher Impferfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizieren.
Dauer der Wirkung
Ist eine Hyposensibilisierung erfolgreich abgeschlossen, stellt sich die Frage, wie lange das Immunsystem nun korrekt auf die Pollen reagiert und wie lange daher die Beschwerden ausbleiben werden. Die Dauer des Therapieerfolgs ist von Fall zu Fall verschieden und leider nicht prognostizierbar. Im Schnitt hält sie einige Jahre, oft werden als Zeitraum fünf bis zehn Jahre genannt, Garantie dafür gibt es jedoch keine. Es ist also möglich, dass nach einigen Jahren die alten Beschwerden zurückkehren. Ebenso ist nicht ausgeschlossen, dass sich neue Allergien entwickeln.
Kreuzallergie bleibt
Rund 400.000 Österreicher sind von einer Allergie gegen Birkenpollen betroffen. Der Großteil davon leidet auch an einer Kreuzallergie. Das bedeutet, dass sie zusätzlich auf einige Lebensmittel allergisch reagieren. Meist handelt es sich um Kernobst (Apfel, Pfirsich, Zwetschge) und Haselnüsse. Bei Äpfeln lohnt es sich, zu experimentieren, denn manche der alten Sorten bereiten manchmal kaum Probleme. Die Unverträglichkeit gegenüber diesen Nahrungsmitteln besteht das ganze Jahr über und nicht nur während der Pollensaison.
Eine Hyposensibilisierung gegen Birkenpollen hat bislang leider keinen Einfluss auf die Kreuzallergie. Diese bleibt demnach auch nach einer erfolgreichen Therapie bestehen. Seit einiger Zeit laufen Forschungen an Impfstoffen, die dieses Problem beheben sollen.
Start im Herbst
Eine spezifische Immuntherapie soll in der pollenfreien Saison gestartet werden – am besten rund vier Monate vor dem Start des jeweiligen Pollenfluges. „Für die Hauptallergene bedeutet das, dass man bei einer Birkenallergie und auch Haselallergie im Spätherbst und gegen Gräser spätestens im Jänner beginnen soll“, empfiehlt Primar Hötzenecker.
Dr. Thomas Hackl
September 2022
Bild: Shutterstock.com/Mandy Godbehear