DRUCKEN
Frau liegt im Koma

Wachkoma – der lange Weg zurück ins Leben

Im Wachkoma scheint der Patient wach zu sein, weil er die Augen immer wieder offen hat, doch der Blick geht ins Leere. Der Patient hat keine bewusste Wahrnehmung zur Umwelt und zur eigenen Person. Jedoch gibt es in der klinischen Beurteilung dieses Zustandsbildes viele Fehldiagnosen – ein verborgenes Minimalbewusstsein wird oftmals nicht erkannt. 

Pro Jahr fallen in Österreich zirka 100 bis 150 Menschen ins Wachkoma (apallisches Syndrom), das durch eine schwere Schädigung des Großhirns entsteht. Solche Schädigungen entstehen vor allem bei schweren Schädelhirntraumen oder bei hochgradigem Sauerstoffmangel des Gehirns, zum Beispiel nach einer Wiederbelebung nach einen Herzinfarkt. Auch ein Schlaganfall, Gehirnblutungen sowie schwere Vergiftungen können ursächlich sein. 

Das Zustandsbild Wachkoma 

  • Betroffene sind lebensfähig und in der Regel für die Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen nicht auf Maschinen angewiesen.
  • Laut Definition fehlt im Wachkoma jegliches Bewusstsein. Voraussetzung für die Diagnose ist, dass dieses Zustandsbild über 30 Tage nach dem Akutereignis andauert.
  • Menschen im Wachkoma können die Augen zwar selbstständig öffnen, doch sie erkennen nichts, können nichts fixieren, nehmen sich selbst und die Umwelt nicht wahr.
  • Betroffene können sich in keiner Weise willentlich bewegen und sind inkontinent. Ihre Muskulatur nimmt schnell an Masse ab.
  • Patienten werden mittels einer Sonde über die Bauchdecke in den Magen künstlich ernährt. Erst wenn sie über ein Minimalbewusstsein verfügen, kann bei vorhandenem Schluckreflex eine normale Nahrungsaufnahme versucht werden.

Drastische Folgen 

„Wachkoma ist eine der schwerstmöglichen neurologischen Erkrankungen. Man sollte die Lage der Patienten daher realistisch sehen und keine falschen Hoffnungen schüren. Erfolge sind in vielen Fällen zwar möglich, Berichte von völliger Erholung sollten aber mit Skepsis betrachtet werden“, sagt Primar Dr. Gerald Pichler, Leiter der Abteilung für Neurologie der Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz. 

Bei den allermeisten Fällen bestehen kaum Chancen, auch bei bester Therapie wieder Normalität zu erlangen. Dennoch ist eine gute Therapie enorm wichtig. Immerhin hängt davon ab, wie groß die Fortschritte sind und wie selbstständig der Patient im Laufe seines Lebens wieder werden kann. Auch wenn die meisten Betroffenen pflegeabhängig bleiben, kann oftmals eine Kommunikation aufgebaut werden, was für die Autonomie des Betroffenen sehr wichtig ist. In seltenen Fällen lernen Betroffene wieder die Hände einzusetzen und sich zu bewegen. Manchmal dauert es bis zu solchen Erfolgen sehr lange, mitunter Jahre.  

Prognosefaktoren 

Ob eine Prognose gut oder schlecht ausfällt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: 

  • Alter: Bei jungen Patienten kann sich das Gehirn besser an neue Situationen anpassen und sich schneller regenerieren. Aufgaben von geschädigten Gehirnregionen können von anderen Regionen übernommen werden.
  • Dauer des Wachkomas: Je kürzer das Wachkoma, desto besser sind die Chancen auf Verbesserung.
  • Ursache des Wachkomas: Ist ein Trauma (Unfall etc.) Ursache, besteht eine bessere Prognose als wenn etwa ein schwerer Sauerstoffmangel infolge eines Herzinfarktes der Auslöser war. Ältere Menschen haben meist mehrere Erkrankungen und deshalb prinzipiell eine schlechtere Prognose.

 

Eine günstigere Prognose haben vor allem junge Patienten, die aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas ins Wachkomma gefallen sind und sonst keine Erkrankungen aufweisen. Wachen solche Patienten relativ rasch wieder auf, haben sie zwar Einschränkungen, aber diese lassen sich durch neurorehabilitative Maßnahmen oftmals verbessern. Meist geschieht dies in kleinen Schritten, bis man schlussendlich vielleicht sogar wieder in einen Arbeitsprozess und das soziale Umfeld integriert werden kann. „Das ist freilich nicht die Regel. Gehen die Fortschritte auffallend rasch vor sich und lassen sich sämtliche Beeinträchtigungen völlig beseitigen, stellt sich die Frage, ob überhaupt ein echtes Wachkoma vorgelegen hat“, sagt Primar Pichler. 

Häufige Fehldiagnosen 

Es ist eine Tatsache, dass Wachkoma nicht selten falsch diagnostiziert wird. „Laut Studien liegen in bis zu 40 Prozent der Fälle Fehldiagnosen vor. In Wahrheit handelt es sich bei vielen dieser Fälle um Zustände von Minimalbewusstsein“, sagt Dr. Pichler. Im Gegensatz zum Wachkoma ist bei diesen Patienten also ein gewisses Maß an Bewusstsein vorhanden, die Schädigung des Gehirns ist also weniger schwerwiegend. 

Man sollte daher mit Patienten immer auch sprechen, so als könnten sie einen verstehen. Denn man kann sich nie wirklich sicher sein, dass sie nicht mitbekommen, was in ihrer Umgebung passiert, da 40 Prozent der Diagnosen „Wachkoma“ falsch sind und diese fehldiagnostizierten Patienten eben doch ein verborgenes Bewusstsein haben, das sie freilich nicht mitteilen können.  

Bewusstsein bedeutet Erwachen 

Erlangt ein Betroffener sein Bewusstsein wieder, bedeutet das ein Erwachen aus dem Wachkoma. Äußerlich erkennbar ist dieses Aufwachen meist an beginnenden Blickfolgebewegungen des Patienten. Er reagiert dabei etwa auf sein Spiegelbild oder auf eine Person im Raum. „Dieses Erwachen geschieht in kleinen Schritten und nicht so, wie es oft in Filmen dargestellt wird, wenn zum Beispiel der Patient nach 15 Jahren die Augen aufreißt, so tut, als habe er gut geschlafen und alles ist gut“, erklärt Primar Pichler. 

Rasche Förderung wichtig 

Patienten sollten schnellstmöglich gefördert werden. Diese Einsicht hat sich in den letzten Jahrzehnten klar durchgesetzt. Früher geschah dies oft nicht und die Betroffenen wurden einfach in Pflegeheime ohne individuelle Fördermöglichkeiten verlegt und hatten dort keine Chance, ihren Zustand zu verbessern. „Heute ist die Versorgung von Wachkoma-Patienten in Österreich vergleichsweise gut“, sagt Pichler.  

Der Aufenthalt auf der Intensivstation dauert meist zwei bis drei Wochen, die nachfolgende Behandlung erfolgt bei gutem Rehabilitationspotential an spezialisierten Rehabilitationseinrichtungen oder gleich im Sinne einer abgestuften Rehabilitation an einer Wachkomastation. Die Reha und die Therapien sollten sobald wie möglich starten. „Jeder, der eine Chance hat, seine Situation zu verbessern, muss diese Chance auch bekommen“, sagt Primar Pichler. 

Was nach einer ersten Reha geschieht, hängt vom Zustand des Patienten ab. „Man muss sich die Entwicklung des Patienten ansehen. Bei guten Erfolgen sind weitere Rehabilitationsaufenthalte möglich. Wenn der Betroffene bereits sehr alt ist und andere schwere Krankheiten hat, kommt er in eine Langzeitwachkomastation oder in ein Pflegeheim, oder er wird zuhause betreut. Befindet sich der Patient in einer palliativen Situation, wird er dem entsprechend betreut. „Der Ansatz dabei ist die Verbesserung der Lebensqualität bei lebensbedrohlichen Erkrankungen ohne Aussicht auf Verbesserung oder Heilung. Dabei ist auch ein Verzicht auf Maximaltherapie möglich. Aktive Sterbehilfe ist in Österreich allerdings nicht erlaubt“, sagt Dr. Pichler. 


Dr. Thomas Hartl

September 2018


Bild: shutterstock


 

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020