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Älteres Paar wandert

Chronische Schmerzen bewältigen

Rund 1,8 Millionen Menschen in Österreich leiden an chronischen Schmerzen. Je länger dieser Zustand bereits andauert, desto schwieriger wird es, ihn wieder loszuwerden. Nach einer gewissen Zeit ist es sinnvoll, die Bewältigung der Schmerzen in den Vordergrund zu stellen, statt sinnlosen Heilungsversuchen hinterherzulaufen. 

Bestehen Schmerzen viele Jahre lang, wandeln sie sich zu einer eigenen Erkrankung, die auch unabhängig von der ursprünglichen Ursache bestehen kann. Während bei akuten Schmerzen Medikamente oder andere Therapien dazu führen, dass man das Übel wieder gänzlich los wird, ist das bei chronischen Beschwerden oft nicht der Fall. Die Ausführungen dieses Artikels beziehen sich auf chronische Schmerzen, sie sind jedoch für dauerhafte Beschwerden auch vieler anderen Erkrankungen anwendbar. 

Typische Reaktionen 

Menschen mit einer chronischen Erkrankung (hier am Beispiel von Schmerzen) durchlaufen oft folgende Phasen:

  • Leugnung: Man will nicht wahrhaben, dass die Schmerzerkrankung tatsächlich gegeben ist und dass sich die Beschwerden vielleicht nie wieder völlig verabschieden werden. Man glaubt an einem Irrtum oder verdrängt die Situation nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann auch nicht sein.
  • Aggression, Hadern: Da Verdrängung nicht dauerhaft funktioniert, lässt sich das Problem irgendwann nicht mehr leugnen. Oft kommt es zu heftigen Gefühlsäußerungen wie Ärger, Wut und Zorn oder man fragt sich: „Warum gerade ich?“
  • Änderungen in der Lebensführung: Mittels guter Vorsätze und tatsächlicher Lebensstiländerungen will man die Gesundung möglichst rasch erzwingen. Verschiedene, oft dubiose Heilungsversuche werden unternommen, häufig wird viel Geld ausgegeben. Man klammert sich an jeden Strohhalm: Manche entdecken in der Hoffnung auf Heilung einen spirituellen oder religiösen Weg für sich.
  • Resignation und Depression: Haben alle Bemühungen – oft über viele Jahre hinweg – keinen Erfolg gebracht und muss man sich schließlich den Verlust des körperlichen Wohlbefindens eingestehen, wird Hoffnung von Resignation, Rückzug und Depressionen abgelöst. 

Positives Schmerzmanagement ist gefragt 

Sind sämtliche erfolgsversprechenden Heilungsversuche fehlgeschlagen, ist es sinnvoll, die positive Bewältigung der Beschwerden als neues Ziel zu definieren, um schweren Depressionen zu entgehen. Diese Bewältigung besteht in einem erfolgreichen Krankheitsmanagement und hat zum Ziel, mit der Erkrankung und ihren Auswirkungen so konstruktiv wie möglich umzugehen. 

Akzeptieren statt resignieren 

Erster Schritt der Bewältigung ist die Akzeptanz von dem was ist. „Man sollte seine Erkrankung nicht bekämpfen. Der Gedanke, dass alles wieder gut werden muss, erzeugt Druck, bringt aber nichts. Der übersteigerte Wunsch gesund zu sein, führt dazu, dass man mitunter sinnlose Therapien in Anspruch nimmt. Viele hoffen und warten auf ein Wundermittel, das alle Schmerzen in Luft auflöst. Solche unrealistischen Erwartungen erzeugen Stress und Frustration“, sagt Dr. Hans Morschitzky, Psychotherapeut in Linz. 

Aufmerksamkeit abziehen 

Der ständige Kampf gegen den Schmerz ist kontraproduktiv, denn durch die ständige Beschäftigung mit ihm und durch seine Ablehnung stellt man ihn zu sehr in den Mittelpunkt. „Diese Fokussierung erzeugt wiederum eine Erwartungsanspannung, die den möglichen zukünftigen Schmerz schon jetzt spüren lässt“, sagt Morschitzky. Statt Widerstand zu leisten, sollte man daher sagen: Ja, der Schmerz ist da. Hier und hier tut es weh, das ist mein sensibler Bereich. Das ist unangenehm, aber so ist es eben. Dennoch lasse ich mich nicht daran hindern, das zu tun, was ich tun möchte. 

Freude ins Leben bringen 

Statt auf das Leid, sollte man die Aufmerksamkeit auf das richten, was das Leben trotz allem zu bieten hat. „Freude, Leidenschaft und Begeisterung machen das Leben lebenswert. Man sollte tun, was man liebt und akzeptieren, dass es mit Schmerzen verbunden sein kann. Der Kick, sich positiv zu spüren und nicht immer nur den Fokus auf das Leiden zu richten, hält Depressionen auf Distanz“, sagt der Psychotherapeut. 

Gelöste Probleme sind kein Wundermittel 

Viele Schmerzpatienten sind davon überzeugt, dass sich bei Lösung eines bestimmten persönlichen Problems auch die Schmerzen in Luft auflösen würden. Natürlich kann das geschehen, aber man sollte es nicht erwarten. In der Regel erzeugt die fixe Absicht, Probleme zu lösen, um die Krankheit loszuwerden, bloß zusätzlichen Stress. „Löst man ein Problem und muss man dann erkennen, dass die ganze Mühe nichts an den Schmerzen geändert hat, deprimiert einen diese Erkenntnis und macht die Sache noch schlimmer“, sagt Morschitzky.

Natürlich macht es Sinn, Probleme zu lösen und es ist auch sinnvoll, so gesund zu leben wie möglich, aber man sollte das nicht mit dem Ziel machen, endlich wieder gesund zu werden. Man sollte etwas tun, um Freude und ein erfülltes Leben zu haben und nicht um seine Beschwerden loszuwerden. Das Ziel, die Motivation, die Absicht ist entscheidend. 

Sinn und Motivation 

Man sollte sich fragen, was man im Leben noch erreichen, erleben möchte und dann auf diese Ziele hinarbeiten, trotz der Schmerzen, trotz der Krankheit. Sinn und Motivation sind wichtig, weil man wissen sollte, warum man am Morgen aufstehen soll, wenn es einem nicht gut geht. „Ich frage meine Patienten oft, was sie machen würden, wenn sich ihre gesundheitlichen Probleme in Luft auflösen würden. Wenn das geklärt ist, dann heißt es nicht warten, bis es vielleicht einmal besser wird, sondern sofort damit zu starten. Fange also jetzt damit an und nicht irgendwann. Nichts muss perfekt sein, man muss keinen guten Tag haben, sondern es geht darum, ein Restrisiko in Kauf zu nehmen. Mit Schmerzen ist zu rechnen, sie sind zu akzeptieren und dann gilt es freudig und mutig zu handeln“, sagt Dr. Morschitzky. 

Schmerzlosigkeit nicht als Ziel setzen 

Ist die Motivation zum Tun groß genug, lassen sich die Symptome meist akzeptieren, weil man das Gewünschte eben wirklich erleben will. Überwindet man sich zum Tun, bedeutet das aber nicht automatisch, dass die Schmerzen verschwinden. Freilich kann das geschehen, erzwingen kann man es aber nicht. „Man sollte auch nicht handeln mit dem Ziel, dass dadurch die Schmerzen weggehen, sondern um sich seine Wünsche zu erfüllen und am Leben teilzunehmen“, rät Morschitzky. 

Leben statt sich zurückziehen 

Menschen mit chronischen Leiden neigen zu sozialem Rückzug. Sie vermeiden aus einem natürlichen Reflex heraus alles, was Leiden hervorrufen oder verstärken könnte. Sie verzichten auf Reisen, Hobbies und pflegen wenig Freundschaften. Genau das sollte man aber verhindern. Morschitzky: „Bloß nichts vermeiden! Sich nicht zurückziehen, ist die Devise. Das gilt bei allen chronischen Beschwerden.“ 

Weitere Tipps

  • Dankbarkeitstagebuch anlegen: Jeden Tag notieren, wofür man dankbar sein darf. Man fokussiert sich dadurch auf die positiven Seiten seines Lebens.
  • Nicht gegen etwas kämpfen, sondern sich für etwas begeistern und einsetzen: Für ein soziales Projekt, für die Familie, für den Job, für ein begeisterndes Hobby.
  • Aktiv sein statt ruhen: Schmerzpatienten sind häufig chronisch verspannt. Am besten hilft dagegen Bewegung. Gehen, walken, joggen, laufen, tanzen, was immer individuell möglich ist. „Körperliche Aktivität hält die Muskulatur in Schwung und entspannt diese wie kein anderes Mittel“, sagt Morschitzky.

 

Dr. Thomas Hartl

Februar 2019


Bild: shutterstock


Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020