Der Autor:
Dr. Thomas
Czypionka
Ist Leiter des Bereichs
Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am Institut für Höhere Studien (IHS
HealthEcon).
KURZFASSUNG
Zum Begriff der Gesundheitsökonomie
Der Begriff „Gesundheitsökonomie“ wird zwar in der gesundheitspolitischen
Debatte immer häufiger verwendet, jedoch bestehen bezüglich des Faches große
Missverständnisse und der Begriff wird von manchen Gruppen bisweilen sehr
negativ verwendet. „Die Gesundheitsökonomen“ sind dann jene, die bloß einsparen
und absichtlich den Menschen etwas wegnehmen wollen. Dabei wird völlig
übersehen, worum es in der Ökonomie und der Gesundheitsökonomie im Besonderen
überhaupt geht: Die natürlicher Weise begrenzt vorkommenden Ressourcen
(materielle Ressourcen, Arbeitskraft, …) so einzusetzen, dass das „Meiste“ für
die Menschen herauskommt. In diesem Sinne will die Gesundheitsökonomie also ein
„Mehr“ für die Patientinnen und Patienten erreichen, nicht ein „Weniger“.
Jedoch muss in einem solchen Prozess die bisherige Ressourcenverwendung hinterfragt
und gegebenenfalls verändert werden. Dort, wo Ressourcen dann weggenommen
werden, entsteht der Eindruck, dass es nur ums „Sparen“ geht, und diese
Perspektive ist grundsätzlich verständlich, da damit meist auch
Einkommenschancen verbunden sind. Eigentlich problematisch in diesem
Zusammenhang ist aber, diesen Kampf um die Einkommenschancen als Kampf um die
Interessen der Patienten zu deklarieren, wie dies bisweilen geschieht. Denn in
der Gesamtbetrachtung soll ja der Mitteleinsatz verbessert werden.
Außerdem besteht ein gewisses Unbehagen, Gesundheit überhaupt ökonomisch zu betrachten. Dies nicht systematisch und wissenschaftlich zu tun, heißt jedoch, Entscheidungen der Beliebigkeit zu überlassen und genau das vorgeblich wichtigste Gut situationsabhängig beliebig zu bewerten. Denn ganz unweigerlich wird Gesundheit immer auch nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt: Wie viel sind wir z.B. bereit, für die Verkehrssicherheit zu investieren? Es kommt hier zu einem trade-off zwischen der Geschwindigkeit, einen Ort zu erreichen, der individuellen Leistbarkeit von Mobilität und einem gewissen Unfallrisiko. Ebenso kann Geld, das für Sicherheitsmaßnahmen aufgewendet wird, nicht mehr zum Bau von Schulen oder zu deren Ausstattung ausgegeben werden. Hinzu kommt, dass unter Umständen bessere Bildung einen größeren Beitrag zur individuellen Gesundheit und der Finanzierung des Gesundheitswesens leisten kann. Diese Faktoren nicht zu berücksichtigen heißt, suboptimal auch im Sinne der Gesundheit zu entscheiden.
Dasselbe gilt auch innerhalb des Gesundheitswesens. Kann bei einer Intervention über tagesklinische Behandlung ein gleich guter Behandlungseffekt erzielt werden wie bei stationärer Aufnahme, wäre es ja umgekehrt geradezu unethisch, weiter stationär zu behandeln. Denn das Geld, das dafür mehr aufzuwenden ist, fehlt ja dann an anderer Stelle, das heißt bei anderen Patienten.
Zur misstrauischen Haltung mancher trägt aber sicher auch bei, dass Gesundheitsökonomie sich vielerorts vor allem des „mainstreams“ in der Ökonomie bedient und diesen nicht positivistisch, sondern normativ verwendet. Mit anderen Worten, die neoklassische Ökonomie wird nicht als ein Modell von der Welt verwendet, das sich seiner modellbedingten Vereinfachung bewusst ist, sondern wird in einer Umkehrung als Modell für die Welt, also als Norm verwendet. Gerade wenn es aber um die Anwendung auf Probleme der realen Welt geht, muss anerkannt werden, dass hier komplexe soziale Phänomene vorliegen, die nicht ausschließlich mit einem simplifizierenden Modell erklärt werden können. Soll also aus der Gesundheitsökonomie auch ein wertvoller Beitrag für die Welt entstehen, so wird es vielfach notwendig sein, je nach Problemstellung alternative Theorien und die Expertise anderer Disziplinen mit einzubeziehen.
Die Austrian Health Economics Association
Sicherlich hängen diese Missverständnisse auch damit zusammen, dass das Fach Gesundheitsökonomie im Gegensatz z.B. zu den Niederlanden oder England bei uns kaum Tradition hat. Die „in der Gesundheitsökonomie Tätigen“ sind verstreut über Österreich zu finden und arbeiten in den meisten Fällen an Lehrstühlen mit ganz anderen Bezeichnungen, oder aber an außeruniversitären Forschungsinstituten oder sind überhaupt weitgehende Wissenschaftsanwender, z.B. im Rahmen der Sozialversicherung.
Lange Zeit haben sich die in diesem Bereich Tätigen häufiger auf einschlägigen internationalen Konferenzen getroffen als in Österreich selbst, ein Umstand, der dazu führte, dass 2011 auf der Konferenz der International Health Economics Association (IHEA) in Toronto die Idee für eine Austrian Health Economics Association geboren wurde. Es dauerte jedoch bis Ende 2012 bis die Idee ausgreift war und die Statuten bei der Vereinsbehörde eingereicht wurden. Mit Anfang 2013 nahm die Austrian Health Economics Association (ATHEA), die als Verein organisiert ist, ihre Arbeit auf. Der Verein soll Forscher in der Gesundheitsökonomie in Österreich besser vernetzen und einen Konnex zur internationalen Ebene herstellen. Es handelt sich hierbei um einen rein wissenschaftlichen Verein, dem nur in der Wissenschaft tätige Personen als ordentliche Mitglieder angehören können. Inzwischen hat er fast fünfzig Mitglieder und im November 2014 fand schließlich die erste ATHEA-Konferenz für Gesundheitsökonomie unter dem Titel „The breadth of health economics“ statt.
Der Titel sollte zum Ausdruck bringen, dass auf dieser Konferenz die gesamte Breite des Faches gleich einer Leistungsschau präsentiert werden sollte. Die Veranstalter waren selbst über die große Resonanz überrascht: Es gab sechzig Anmeldungen, was darauf hindeutet, dass der schlummernde Bedarf groß war. In zwei Parallelsessions wurden am Freitag, den 28. November über 30 Arbeiten präsentiert! Zwei internationale Gäste konnten für die keynote-Vorträge gewonnen werden: Adelina Comas-Herrera (London School of Economics) und Andrew Street (University of York). Die Konferenz fand am Institut für Höhere Studien. Am Vorabend fand zusammen mit den keynote-Sprechern eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Was kann die Gesundheitsökonomie für die Gesellschaft leisten?“ statt. Sie war als ein Dialogversuch gedacht, um damit zu beginnen, gegenseitige Missverständnisse auszuräumen, und geriet phasenweise sehr lebhaft.
Die Podiumsdiskussion: Was kann die Gesundheitsökonomie für die Gesellschaft leisten?
Aus den eingangs erwähnten Gründen erschien ein Dialog zu den Fragen, wie Gesundheitsökonomie und Gesellschaft zusammenwirken, sehr wichtig, und es zeigte sich, dass es diesbezüglich noch tiefgreifende Missverständnisse gibt. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren:
- Mag. Jan Pazourek, Generaldirektor der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse
- Mag. Richard Gauss, Bereichsleiter für Finanzmanagement in der Geschäftsgruppe Gesundheit und Soziales der Stadt Wien
- Mag. Georg Ziniel MSc, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH
- Dr. Gerald Bachinger, Niederösterreichischer Patientenanwalt, Sprecher der ARGE der Patientenanwälte
- Prof. Gerald Pruckner, Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie an der Johannes-Kepler- Universität Linz
- Andrew Street, Professor of Health Economics, Director of Health Policy Team am CHE, Universität York
- Adelina Comas-Herrera, Fellow an der Personal Social Services Research Unit, London School of Economics
Ausgangspunkt war die Frage, wie die Gesundheitsökonomie von der Politik, den medical professionals, aber auch von der Bevölkerung wahrgenommen wird, um dann mehr auf die Erwartungen von Gesellschaft und Politik sowie die notwendigen Voraussetzungen dafür einzugehen.
Aus Sicht der englischen Gäste wurde deutlich, dass Gesundheitsökonomie sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik bereits mit ihren positiven Beiträgen auf große Akzeptanz stößt. Selbstverständlich musste auch dort das positive Verhältnis erst entstehen, wie sich auch die Disziplin insgesamt konsolidieren und selbstbewusst werden musste. Die Entwicklung begann jedoch schon wesentlich früher als in Österreich. Sehr plastisch erschienen die gebrachten Beispiele von Krankenanstalten und der Pharmaindustrie. Während eine Krankenhausverwaltung für sich selbstverständlich möglichst viele Mittel sichern will und die Pharmaindustrie natürlicherweise Umsatz und Gewinn im Auge hat, muss die Sozialversicherung oder das National Health Service auf den richtigen Einsatz der Beiträge und Steuern achten. Die Gesundheitsökonomie spiele genau hier eine wichtige Rolle, für die richtige Allokationsentscheidung ungeachtet der Einzelinteressen die Entscheidungsgrundlagen zu schaffen und so die Ressourcenverwendung zu optimieren.
Fazit
Die erste ATHEA-Konferenz für Gesundheitsökonomie war ein offenbar lange überfälliger Schritt auf dem Weg zu mehr Vernetzung der gesundheitsökonomischen Forschung in Österreich. Es zeigte sich eine überraschende Vielfalt an Themen und Methoden. Die Disziplin hat bereits mehr hervor gebracht, als man gemeinhin glaubt. Nun gilt es, die Szene weiter zu vernetzen und gleichzeitig auch den Dialog mit den Stakeholdern inklusive auch der Bevölkerung zu führen, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern. In der Podiumsdiskussion zeigte sich auch, dass die Vorstellungswelten von Stakeholdern und Wissenschaft noch relativ weit auseinanderliegen. Die Gesundheitsökonomie hat auch für Fragestellungen der „realen Welt“ viel zu bieten. Jedoch kann dies nur genutzt, wenn Politik und Verwaltung bereit sind, diese Arbeit zu unterstützen und sich darauf einzulassen, die Sichtweisen der Forscher ein Stück weit zu verstehen. Die Wissenschaft sollte sich bemühen, die Herausforderungen in Politik und Verwaltung aufzugreifen und zum Gegenstand ihrer Forschung zu machen. Viele interessante Beispiele waren auch schon in den Konferenzbeiträgen zu sehen!