Long Covid als neue Herausforderung
Herzinfarkte und Eingriffe am Herzen gibt es in Österreich jedes Jahr zehntausendfach. „Ein Drittel der Patienten, die nach dem Infarkt ihr Verhalten nicht ändern, bekommt innerhalb der nächsten zehn Jahre den nächsten Infarkt“, sagt Dr. Helmuth Ocenasek, stellvertretender ärztlicher Leiter des ambulanten kardiologischen Rehazentrums Cardiomed Linz. Hier werden auch Long Covid-Betroffene betreut.
Wer heute nach einem Herzinfarkt einen Stent (Metallgitter) gesetzt bekommt, fühlt sich in wenigen Tagen wie neugeboren. Empfehlung zur Reha schlagen viele in den Wind, was sich meist rächt. „Der Stent kann zwar die Verengung des Gefäßes überbrücken, die zugrunde liegende Arteriosklerose bleibt aber erhalten. Ohne eine Veränderung im Verhalten, wie etwa einem Mehr an Bewegung, Rauchstopp, verbessertem Stressmanagement und herzgesunder Kost, droht in wenigen Jahren der nächste Infarkt“, erklärt Allgemein- und Sportmediziner Dr. Ocenasek.
Langfristige Trainingstherapie für Genesung und mehr gesunde Jahre
Dr. Ocenasek hat gemeinsam mit dem ärztlichen Leiter von Cardiomed, dem Internisten Prim. Dr. Karl Mayr, bei der Erstellung der ersten „Guidelines der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft zur Durchführung der ambulanten kardiologischen Reha“ aus dem Jahr 2000, mitgewirkt. „Untersuchungen belegen, dass der Outcome von stationärer und ambulanter Reha gleich gut ist. Einer der großen Vorteile der ambulanten Reha ist die Nachhaltigkeit. Rund 65 Prozent unserer Patientinnen und Patienten betreiben auch nach der Reha ihr Trainingsprogramm weiter“, sagt Dr. Ocenasek. Die ambulante Herzreha kann das Risiko für einen neuerlichen Infarkt um mehr als 50 Prozent senken.
Seit dem Jahr 2007 gibt es in Österreich neun ambulante kardiologische Rehabilitationszentren.
Ambulant oder stationär – jedem sein Setting
Die vierwöchige stationäre Reha ist für stärker beeinträchtigte Patientinnen und Patienten von Vorteil, weil sie eine optimale krankenhausähnliche medizinische Versorgung möglich macht.
Allgemein sieht eine Reha vier Phasen vor:
- Phase 1: Akutbehandlung im Krankenhaus
- Phase 2: vierwöchige stationäre Reha oder für vier bis sechs Wochen Reha in einer Sonderkrankenanstalt für ambulante Rehabilitation
- Phase 3: langfristige ambulante Weiterbetreuung im Anschluss an eine stationäre oder ambulante Phase 2. Diese Begleitung kann neun bis zwölf Monate bewilligt werden. In dieser Phase wird des Erlernten im Alltag angewandt
- Phase 4: Lebenslange Prävention mit selbständigem Ausüben all dessen, was man über ein herzgesundes Leben gelernt hat.
Auf Reha und doch zu Hause
Berufstätige können die ambulante Reha in ihren Alltag integrieren und zu Hause bei der Familie sein. Die Therapiezeiten sind flexibel und die Betreuung besonders effektiv, weil längerfristig.
Das Angebot ist breit gefächert und beinhaltet individuell dosiertes und überwachtes Ausdauertraining, praxisgerechte Ernährungsschulung, psychosomatische Betreuung und psychologische Unterstützung, das Erlernen eines Entspannungstrainings, einen Nichtraucherkurs sowie die Optimierung der Medikation und eine Notfall- und Reanimationsschulung. „Zur Ernährungsschulung laden wir auch Familienmitglieder mit ein. Gemeinsam kann man daheim mediterran und herzgesund kochen“, sagt Dr. Ocenasek.
„Leider nehmen nur rund 20 bis 30 Prozent aller, für die eine Kardio-Reha sinnvoll wäre, diese stationär in Anspruch. Ambulant sind es nur zehn Prozent. 50 bis 60 Prozent ändern somit nach dem Infarkt nichts. Manche sehe ich dann nach dem zweiten Ereignis in der Reha“, sagt Dr. Ocenasek.
Chronische Lungenerkrankungen oftmals untertherapiert
Bei der Lungenreha ist die Altersgruppe 50 + mit Asthma, COPD oder nach Lungen-OP vertreten. Laut Dr. Ocenasek sind viele chronisch Lungenkranke untertherapiert: Sie nehmen entweder ihre Medikamente nicht ordnungsgemäß ein oder können mit Sprays nicht richtig umgehen, sodass kaum Wirkstoff in die Bronchien gelangt. „Nur etwa 25 Prozent der Patienten sind ausreichend behandelt. Daher ist die Patientenschulung bei uns ganz wichtig“, sagt der Arzt, der meint: „Ich würde mir wünschen, dass COPD-Patienten in frühem Krankheitsstadium kommen, wo sie noch nicht sauerstoffpflichtig sind. Die Leistungsfähigkeit kann mit gezieltem Training um 20 bis 30 Prozent verbessert werden. Das heißt, Betroffene können wieder weitere Strecken problemlos gehen. Das ist Lebensqualität“, erklärt Dr. Ocenasek.
Long Covid, die neue Herausforderung in der pulmologischen Reha
„Zusätzlich zur normalen Lungen-Reha, haben wir aktuell auch viele jüngere Long-Covid-Patientinnen und Patienten zu betreuen. Die Kunst ist es, auf individuelles Befinden und Beschwerden einzugehen und die Betroffenen nicht zu überfordern. Wir müssen jeweils nach den unterschiedlichen klinischen Beschwerden behandeln“, sagt Dr. Ocenasek.
Zu den Kardinalsymptomen, die häufig auch kombiniert vorkommen, zählen:
- Verminderte cardio und/oder respiratorische Leistungsfähigkeit. Ocenasek: „Die einen haben mehr Probleme mit der Lunge und dem Atmen und die anderen klagen eher über Herzprobleme im Sinn eines Posturalen Tachykardiesyndroms, kurz POTS. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass etwa die Herzfrequenz nach 100 Metern Gehstrecke stark ansteigt, was zu Schwindel, Panik, Schmerzen in der Brust und Atemnot führen kann. Wir haben eine jüngere Long-Covid-Patientin, die deshalb ihren Beruf seit Monaten nicht mehr ausüben kann. Grund für POTS ist eine Dysregulation des autonomen Nervensystems.“
- Kognitive Probleme wie Konzentrationsschwierigkeiten: Patienten berichten, dass sie nach einer Stunde im Büro am Bildschirm mit der Konzentration am Ende sind. Manche sind schon nach wenigen Seiten Lesen nicht mehr aufnahmefähig.
- Fatigue-Syndrom: Es ist durch das anhaltende Gefühl von Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit gekennzeichnet.
Für Long Covid-Patienten und insbesondere bei Fatigue ist das Pacing das Um und Auf in der Therapie. Bei diesem therapeutischen Konzept muss stets unterhalb der individuellen körperlichen und psychischen Belastungsgrenze trainiert werden. Überschreiten Betroffene diese, verschlechtern sich die Symptome der schweren Erschöpfung, aber auch Muskelschmerzen und neurokognitive Probleme oft dramatisch. Diese Verschlechterung nennt man Post-Exertional-Malaise, kurz PEM. Ocenasek: „Wir tun in der Reha alles, um PEM zu vermeiden. Das ist nur durch gute Rückmeldung durch den Patienten und stete Anpassung des Trainings möglich.
„Die ambulante Reha mit Begleitung über Monate, spielt eine bedeutende Rolle. Manche Long Covid-Patienten entwickeln nämlich Coping-Strategien, sprich Bewältigungsstrategien, die mehr schaden als nutzen. Sie bewegen und fordern sich überhaupt nicht mehr, was sie zusätzlich krank macht. Monatelange Inaktivität kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht führen, die Betroffenen werden depressiv und verlieren viel Muskelmasse“, sagt der Sportmediziner. - Chronische Darm- und Verdauungsbeschwerden
Hoffnung auf vollständige Genesung lebt
Gute Nachrichten für Long Covid-Patientinnen und Patienten bringt eine aktuelle gepoolte Analyse von 1,2 Millionen Personen aus 22 Ländern, die Dr. Theo Vos vom Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington und sein Team durchgeführt haben. Sie ergibt, dass lediglich 6,2 Prozent der Patientinnen und Patienten drei Monate nach einer symptomatischen COVID-19-Infektion Long Covid-Symptome aufweisen. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die weltweite Analyse fokussierte auf drei Symptomcluster: kognitive Probleme, respiratorische Probleme und Fatigue. Von allen Patientinnen und Patienten mit Symptomen drei Monate nach der akuten Infektion hatten nur mehr 15,1 Prozent auch nach zwölf Monaten noch die entsprechenden Symptome.
Mag. Christine Radmayr
November 2022
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